Sieht man die Welt mit den Augen der jungen Dramatiker beim Festival »Welt/Bühne« im Marstall, muss man alle Hoffnung fahren lassen.
Der Marstallplan geht neue Wege. Unter dem Label »Welt/Bühne« hat das Theater sich einen langen Atem gegönnt und fünf Autoren mit Stückentwicklungen beauftragt. Das Projekt begann mit einer Schreibwerkstatt im November 2017. Das Ergebnis sind fünf sorgfältig gearbeitete Inszenierungen, die vom Sich-Öffnen und Sich-Verschließen erzählen. Was das Öffnen betrifft, sehen die Nachwuchsautoren anscheinend recht schwarz. Zumeist sind die Türen verschlossen oder werden schnell verrammelt, damit das Fremde nicht hereinkommt. Und so geben die jeweils einstündigen Inszenierungen einen düsteren Kommentar zur Gegenwart ab.
In Maria Milisavljevic’ »Auf ewig und gestern« bewachen Namenlose seit 1738 eine Grenze und halten die ohne Stempel draußen, weil, »wenn die auch nur riechen, dass da eine Tür ist, kommen die schon angekrochen.« Die Textcollage beschreibt die ewige Wiederkehr derselben Mechanismen. Regiestudentin Franziska Angerer von der Theaterakademie hat daraus eine intensive chorische Installation gebaut, die von den Stimmen von Barbara de Koy, Christian Erdt, Arthur Klemt und Cynthia Micas lebt und zu einer ohrenbetäubenden Kakofonie anschwillt, als wolle sie das Ende der Welt verkünden.
»White Elephants« der nigerianischen Autorin Zainabu Jallo erinnert in seiner Ausweglosigkeit an Tennessee Williams. Britta Ender inszeniert mit Ulrike Willenbacher als Mutter Sabeth und Oliver Möller als blindem Sohn Celestial die klaustrophobisch private Geschichte still, aber unaufhaltsam auf ihr tödliches Ende zu. Nur Vox (Mathilde Bundschuh) in ihrer choreografierten Künstlichkeit scheint Ausbruch zu versprechen. Die Tore zu machen sie auch in Susanne Fourniers »antigone lebt*«. Bei ihrer Hochzeit trifft Antigone ihre toten Brüder Polyneikes und Eteokles. Die kanadische Autorin hat jede Menge Kapitalismuskritik und Politikverweise in ihr Thesenpapier gepackt. Dagegen stemmt sich der britische Jungregisseur Rikki Henry mit einem Familiensaufgelagestreit und verdonnert Lilith Häßles verstörte Antigone dazu, von Beginn an fiebrig, wie elektrisch aufgeladen aufzudrehen, was Häßle prima kann, die Figur aber recht eindimensional wirken lässt.
Zum Endzeitmonolog des Hongkongers Pat To Yan führt eine Schleuse (der schwarze Kubus von Maximilian Lindner, der das variable Bühnenbild für alle Stücke abgibt). Dahinter warten Charmaine und ihr stummer Bruder Kenneth. Um der Ausgrenzung im Exil zu entfliehen, sind sie in die verseuchte Zone zurückgekehrt. Mira Stadler vom Max Reinhardt Seminar inszeniert Pauline Fusbans Charmaine im Leerlaufmonolog »Bisans Ende ihrer Tage« als Aufziehfigur, der es schier die Sicherung raushaut. Anders durchgeknallt kommt Santiago Sanguinettis »Bakunin« daher. Der Uruguayer entwirft ein trashiges Spontitableau. Drei Althippies wollen sich an ihrem ehemaligen Arbeitgeber IBM und der ganzen Wirtschaft rächen. Allein, die IBM-Lateinamerika-Chefin Emma (Katharina Pichler) kommt ihnen in der Sauna böse in die Quere. Da hilft auch Rosas redlicher Android Bakunin mit Mongolenbart (Joachim Nimtz) nicht weiter. Aber wie Stefan Schweigert vom Max Reinhardt Seminar René Dumont und Arnulf Schumacher als Mad Scientist Rosa und abgetakelte Schabracke Margarita inszeniert, ist eine Schau. ||
ELEPHANTS – BAKUNIN
8., 9. Juli | 18 – 19.30 – 21 Uhr
BIS ANS ENDE IHRER TAGE – ANTIGONE LEBT*| 14. Juli | 19 – 20.30 Uhr
Residenztheater – Marstall| Marstallplatz. 5
Tickets: 089 21851940
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