Im August wird die Münchner Illustratorin und Autorin Rotraut Susanne Berner 70 Jahre alt. Drei Ausstellungen in München, Hannover und Troisdorf zeigen ihre Kunst.
»Das glaub ich jetzt nicht!«, sagt Rotraut Susanne Berner. Sie steht in ihrer Wohnung in der Dreimühlenstraße, im Durchgang zu ihrem Atelier. An den Wänden jede Menge Kunst, Bücher über Bücher, auf einem Sideboard Fotos ihres verstorbenen Mannes, des Erfinders der »Tollen Hefte« und der »Tollen Galerie«, des leidenschaftlichen Herausgebers und Büchermenschen Armin Abmeier. Hinter Glas Schätze, altes Spielzeug, Geschirr, Lebenssätze, in Stein gemeißelt. »Charakter ist nur Eigensinn. Es lebe die Zigeunerin« ist so ein Satz. »Das glaub ich jetzt nicht!«, sagt Rotraut Susanne Berner und räumt Mappe um Mappe aus dem Planschrank. Mappen mit Umschlägen, Illustrationen, Postkartenmotiven, freien Arbeiten, Mappen mit Scherenschnitten und einer gestempelten Arche Noah, Mappen mit Karlchen drin, mit Hund & Hase, Kind & Katze: ihre Arbeit aus 40 Jahren Selbstständigkeit. Ihre Kunst. Sie spricht darüber, als erläutere sie die Arbeit, die Kunst einer anderen. Sie landet beim Erzählen von Geschichten, zum Beispiel aus ihrer Kindheit.
Rotraut Susanne Berner, 1948 in Stuttgart geboren, wächst in Rotenberg auf. Es ist eine schwäbisch-protestantische Kindheit der 50er Jahre. Nachkriegszeit. Freiheit gibt es allenfalls im Freien, wenn sie mit ihren Geschwistern »Lägerle« baut, Fangen oder Verstecken spielt. Bücher gibt es auch: Der Vater war Verlagsleiter der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart. Aber wildes Herumrennen in der guten Stube, Wimmeln und Wuseln, wie es später in vielen Variationen etwa in den »Wimmelbüchern« oder bei »Karlchen« vorkommen wird? Undenkbar. Und vielleicht wurde gerade so der Grundstein gelegt dafür, in der eigenen Kunst das Vermisste einmal nachzuholen, in der Unbändigkeit der Formen und Farben, in der Vielfalt der Techniken und Ausdrucksmöglichkeiten. Unübersehbare Konsequenz ist die Tatkraft, mit der Rotraut Susanne Berner ihren Weg geht, ihre Perfektion bis hin zum Perfektionismus, ihre immense Produktivität. Von 1971 bis 1975 studiert sie Grafikdesign an der Fachhochschule in München, ist von 1975 bis 1977 in der Verlagswerbung tätig, arbeitet von 1977 bis 1988 als freie Illustratorin, Buchgestalterin und Autorin in München, von 1988 bis 2003 in Heidelberg und lebt seit 2003 als freischaffende Künstlerin wieder in München.
Wider & Spruch
Wo nehmen Geschichten, wo nehmen Lebensgeschichten ihren Anfang? Wie nehmen sie ihren Lauf? Bemerkenswert ist, dass vor solch strenger, enger Kindheitskulisse ein Lieblingsbuch jener Jahre ausgerechnet eine Struwwelpetriade ist. Bereits das Cover von »Aber Klärchen!« von Martha Bertina verweist auf spätere bernersche Kunst: die schwarzen Konturen, die wenigen, präzise gesetzten Tuschestriche, das nahtlose Spiel aus Gestaltung und Grafik etwa beim verlängerten Strich des Ks, auf dem Klärchen wie an einer Kletterstangeherunterrutscht. Oder ist es eine Stopfnadel? Immerhin istKlärchen ein Mädchen! Aber was für eins: bei aller vordergründigen Artigkeit ein einziger Widerhaken.Auch dazu gibt es eine Geschichte: Rotraut Susanne Berner, längst erwachsen, entdeckt auf der Internationalen Kinderbuchmesse in Bologna eine italienische Ausgabe von »Aber Klärchen!« Die heißt auf Italienisch »Pestivera Susanna!«, also »Freche Susanne!«
»Das glaub ich jetzt nicht!«, würde sie eine solche Geschichte kommentieren. Und da ist er wieder, dieser Satz, der so viel mit ihr zu tun hat. Er umfasst die Verzweiflung am aktuellen Buchmarkt im Kaufrausch wie an der Engstirnigkeit der kinderliterarischen Szene, er ist genauso ein verbales An laufnehmen, ein Sprungbrett für nimmermüde Neugier und ungebremstes Engagement. Womöglich hat die Initiative zur im deutschsprachigen Raum einzigartigen »Stiftung Illustration« im Bilderbuchmuseum Troisdorf mit diesem Satz begonnen, oder Gespräche mit Armin Abmeier, um dann, irgendwann, zu einer Institution wie die »Tolle Galerie« zu führen oder zu Reihen wie »Die Tollen Hefte«, die die Künstlerin nun allein fortführt.
Sprach & Spiele
Mit dem jüngsten Band »Schlaraffenbauch«hat sie sich selbst eine Spielwiese eröffnet. Zu den Gedichten von Michael Hammerschmid fallen Augen im Wortsinn aus dem Kopf, hoch in die Luft, werden Blicke geworfen: auf Gedanken, Sommer,Winter, Tag und Nacht, auf das, was krank, und das, was glücklich macht, auf das, was alle haben, auf das, was fehlt. Blicke aufs ganze (Kinder-)Leben eben. All das kommt im Werk von Rotraut Susanne Berner vor. Anfang genauso wie Ende, »Als die Welt noch jung war« (Beltz & Gelberg, 1995) genauso wie »Als der Tod zu uns kam« (Peter Hammer, 2011). Der inzwischen verstorbene Schweizer Autor Jürg Schubiger hat die Texte zu beiden Büchern geschrieben. An das erste erinnert sich Rotraut Susanne Berner als einziges Glück: Die Leichtigkeit, mit der die Bilder entstanden seien, habe sie in diesem Maße nie wieder erlebt. 16 Jahre später bricht der Tod nicht, sondern stolpert in ihrer Lesart als Tollpatsch ins Bild, menschlich und lebensnah. Denn das zeichnet die Bildideen, das zeichnet die Berner’sche Kunst aus. Intelligent, ironisch, witzig und abgründig, von bestechender Einfachheit und Überzeugungskraft lässt sie Freiräume für die Betrachter. Die können Assoziationen ihrerseits hochfliegen lassen und Blick um Blick werfen.
Lob & Preisen
Dafür wurde Rotraut Susanne Berner mehrfach ausgezeichnet, etwa 2006 mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk oder 2016 mit dem Hans Christian Andersen-Preis und dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach. Nun wird sie am 26. August 70. Und wie könnte das besser gefeiert werden als mit gleich drei Ausstellungen? Einmal mehr zeigen »Stube & Tiger« und »Sammel & Surium« schon in den Titeln das Wort-und-Bild-Spielerische. Und sie zeigen mit den zwei Seiten einer Medaille die Ambivalenz als kreativen Ausgangspunkt und künstlerisches Credo. Die Katze, Lieblingstier von Rotraut Susanne Berner, schnurrt dann als Schmuse & Katze auf Samt & Pfoten und fährt als Raubtier die Krallen aus. Und in Sammel & Surium hat ohnehin ein ganzes, reiches Künstlerleben Platz. Zu demgehört auch der Rückblick. Die Ausstellung »Die Tollen Hefte. Wild. Gefährlich. Avantgarde«, 2016 zum 25-jährigen Jubiläum der Reihe erstmalig in Bologna gezeigt, wird ab September im Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem in Troisdorf zusehen sein. Auch das ein Stück Lebenswerk der Jubilarin. Fehlt noch ein Bild: Die Menge jubelt. Und gratuliert!||
AUSSTELLUNGEN
10. Juni bis 2. September
STUBEN & TIGER
ROTRAUT SUSANNE BERNER ZUM 70. GEBURTSTAG
Internationale Jugendbibliothek Blutenburg in München
Eröffnung 10. Juni, 11 Uhr, durch Elke Schmitter
18. August bis 4. November (Hannover)
SAMMEL & SURIUM
ROTRAUT SUSANNE BERNER. BILDER UND BÜCHER AUS 40 JAHREN
Wilhelm-Busch-Museum, Hannover| Eröffnung 17. August, 18 Uhr, durch Axel Scheffler
8. September bis 18. November (Troisdorf)
DIE TOLLEN HEFTE WILD. GEFÄHRLICH. AVANTGARDE
Burg Wissem in Troisdorf| Eröffnung 8. September, 18 Uhr, durch Thomas M. Müller
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