In »Loving Vincent« taucht der Zuschauer sprichwörtlich in die Gemälde-Welten van Goghs ein.

Darsteller Chris O’Dowd als Variation des Postmanns Roulin © 2017 Loving Vincent Sp.z.o.o. & Loving Vincent Ltd.

Ja, das war der mit dem Ohr. Auch wer nicht viele Gemälde von Vincent van Gogh kennt, die Geschichte mit dem abgeschnittenen Ohr wurde sicher schon mal irgendwo aufgeschnappt. Auch in »Loving Vincent« von Hugh Welchman und Dorothea Kobiela findet diese Anekdote Erwähnung. Allerdings schauen sie auch, wie es zu dieser Wahnsinnstat und letztlich auch zu seinem Selbstmord kommen konnte. Aber was noch packender ist: Der Film transportiert den Zuschauer direkt in van Goghs Bilderwelten.

Dabei ist der Hauptprotagonist der junge Armand Roulin (Douglas Booth). Ein Jahr nach van Goghs Freitod taucht ein Brief des Malers an dessen Bruder auf, den Roulin bei ihm abliefern soll. Widerwillig nimmt er den Auftrag seines Vaters, der ein guter Freund des Künstlers war, an. In Paris angekommen muss er erfahren, dass auch der Bruder in der Zwischenzeit aus dem Leben geschieden ist Nun könnte er eigentlich wieder den Heimweg antreten. Aber nach einem Gespräch mit dem Farbenhändler Père Tanguy (John Sessions) ist Armand fasziniert von diesem missverstandenen Autodidakten, der sich trotz offensichtlicher Besserung seines Zustands das Leben nahm. Er beginnt also Nachforschungen in van Goghs Umfeld anzustellen, rekonstruiert die letzten Stationen von dessen Leben und stößt letztendlich sogar auf Widersprüche.

Diese Spurensuche inszenieren Welchman und Kobiela als eine Traumwelt aus Pinselstrichen. Insgesamt 125 Künstler waren damit beschäftigt, die Spielaufnahmen mit Ölfarben zu übermalen. »Loving Vincent« wirkt also wie ein Bild des Meisters selbst. Um diesen Effekt zu verstärken, werden auch immer wieder seine Gemälde mit eingebaut, selbst die Figuren beruhen auf Porträts. Anfangs mag das irritieren oder überfordern, jedoch wandelt man schnell wie selbstverständlich durch diese Welt. Das liegt vor allem daran, dass sich der Film nicht nur auf seine großartige Animationskunst verlässt, sondern die Kinobesucher auch auf der Handlungsebene abholt. Mit der Zeit bildet sich ein faszinierendes Psychogramm eines verkannten Außenseiters. Das ist spannend, oft tieftraurig und fernab von oberflächlicher Heldenverehrung. Visuell sowie emotional also ein gelungenes Experiment. Ein Film, der nicht nur klar macht, was man an van Gogh und seiner Kunst hat, sondern an alle Künstler denken lässt, die erst viel zu spät zu ihrem verdienten Ruhm gekommen sind. ||

LOVING VINCENT
GB, Polen 2017 | Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman | Mit: Douglas Booth, Chris O’Dowd u. a. | 95 Minuten | Kinostart: 28. Dezember
Trailer

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