Mareike Krügel erzählt in »Sieh mich an« von einer Frau, bei der nichts mehr so ist, wie es gehört, und zeichnet zugleich das Porträt eines eigensinnigen Mädchens.
Katharina Theodoroulakis führt mit ihrem Mann Costas eine Wochenendehe. Er arbeitet als Architekt in Berlin, sie hockt mit den Kindern in einem Backsteinhaus bei Lübeck, arbeitet offiziell an ihrer Dissertation, gibt de facto musikalische Früherziehung und versucht, den Alltag zu meistern. Der Sohn ist schwer verliebt, die ADHS-verdächtige Tochter kaum zu bändigen, die schwulen Nachbarn fordern Aufmerksamkeit, und für abends hat sich ein Studienfreund angekündigt, den Katharina zuletzt vor 15 Jahren sah. – Was wie der Plot eines gefühligen Frauenromans wirkt, entpuppt sich als Story voller Sprengkraft.
»Ich will nicht sterben, und ich will auch nicht durch diese Tür gehen«, heißt es zu Beginn von »Sieh mich an«. Es ist Freitagvormittag, und Katharina steht vor der Schule ihrer Tochter Helena, genannt Helli, die wegen Nasenblutens nach Hause soll. Auf die erste außerplanmäßige Station folgen weitere – dabei hat Katharina extra eine To-do-Liste erstellt, damit der Tag normal verläuft. Es könnte der vorerst letzte sein: Sie hat »ein Etwas« in ihrer Brust entdeckt und wird, nach kurzer Verdrängung, kommende Woche einen Arzt konsultieren. »Von Montag an darf alles anders werden. Montage sind Schwellentage. Jetzt ist Freitag, und die Aufgabe von Freitagen ist, die Woche sanft ausklingen zu lassen.« Dieser Freitag will sich seiner Aufgabe nicht fügen. All die Kalamitäten aufzuzählen, in die
Katharina gerät, würde dem Roman jedoch nicht gerecht: »Sieh mich an« fasziniert durch seinen Erzählton. Mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert, stellt Katharina alles und jeden auf den Prüfstand. Gnadenlos hinterfragt sie sich, ihre Ehe, Beziehungen – kurz, das, was das Leben ausmacht.
Dass das rasante Finale dabei etwas slapstickhaft gerät, ist nicht von Nachteil: Constantin Film hat sich die Filmrechte gesichert, die Buchlizenzen sind nach Australien, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden und Südkorea verkauft, und im Hörbuch verleiht die Schauspielerin Bibiana Beglau mit ihrer rauen, mal zornigen, mal verletzlichen Stimme Katharinas wider sprüchlichen Gefühlslagen stets den passenden Ton. Als heimliche Hauptfigur entpuppt sich indes die von Beglau zum Leben erweckte Helli, die vielleicht ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit hyperkinetischer Störung, ganz sicher aber einen herrlich eigensinnigen Kopf hat. Auch wenn die Elfjährige damit oftmals ihre Mutter – und sich selbst – zur Weißglut bringt, »so verbirgt sich in dieser Lebenshaltung doch ein winziges Stück vom Paradies«. ||
MAREIKE KRÜGEL: SIEH MICH AN
Piper, 2017 | 256 Seiten | 20 Euro
Hörbuch gelesen von Bibiana Beglau
Osterwold Audio 2017 | 7 CDs, 494 Min.
20 Euro
Das könnte Sie auch interessieren:
Freddy Mercury in München: Das Buch von Nicola Bardola
Christoph Poschenrieder: Der Roman »Ein Leben lang«
Wegschauen verboten! Die Ausstellung in Rosenheim
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton