HFF-Absolvent Julius Grimm sprach mit Thomas Lassonczyk über furiose 35-Stunden-Filmwettbewerbe, die Splatter-Ikone Olaf Ittenbach und seinen ersten Langfilm »Zweigstelle«, der im Jenseits spielt.
Herr Grimm, im Oktober kommt mit „Zweigstelle“ Ihr erster abendfüllender Spielfilm in die Kinos. Wenn ich die Biografie auf Ihrer Website richtig deute, sind Sie in ein künstlerisches Umfeld hineingeboren worden.
Das stimmt. Meine Eltern haben beide gemalt. Während ich väterlicherseits in Regensburger Ateliers und vielen Kneipen, die mein Vater eröffnet hat, aufgewachsen bin, hat meine Mutter bei mir eher geschaut, dass alles in den richtigen Bahnen läuft. Aber das Künstlerische haben mir beide mitgegeben.
Und dann sind sie in sehr jungen Jahren nach München, um dort was genau zu machen?
Dort habe ich erst einmal ein Jahr lang Praktika gemacht, unter anderem in einer ganz kleinen Film- und Fernsehproduktion, die die Filme von Olaf Ittenbach geschnitten haben.
Reden wir von dem Olaf Ittenbach? Jenem ebenso legendären wie umstrittenen und auch berüchtigten Splatter-Regisseur?
Genau von dieser Horror-Ikone sprechen wir. Dort hatte ich auch die Ehre, ein Making-of zu einem von Ittenbachs Filmen zu schneiden. Das war für mich wie pures Gold: Von 100 Mini-DV-Kassetten umgeben zu sein und vor dem Monitor dabei zuzusehen, wie andere Tricks umsetzen und ihre Filme realisieren.
Und dann besuchten Sie eine Einrichtung, die auf den klangvollen Namen Rainer-Werner-Fassbinder-Fachoberschule hört.
Es war tatsächlich so, dass die Schule am Anfang einfach nur FOS Gestaltung hieß. Erst als ich in die zwölfte Klasse wechselte, kam es zur Umbenennung. Aber es war damals schon bekannt, dass ich gerne mit Kameras herumhantiere. Und so habe ich die Taufe, unter anderem in Anwesenheit des langjährigen Fassbinder-Darstellers Harry Bär, mitgefilmt. Ich muss aber ehrlich zugeben, dass mir damals mit meinen 19 Jahren der Name Fassbinder noch nicht so richtig etwas gesagt hat. Da hatte ich andere Idole. Aber jetzt im Lebenslauf macht es sich ganz großartig. (lacht)
Für Ihr – Verzeihung – fortgeschrittenes Alter, Sie sind ja schon 38, haben Sie erstaunlich wenig Lang-, dafür aber sehr viele Kurzfilme inszeniert. Wie kommt das?
Kurzfilme finanzieren sich leichter als Langfilme. Während meiner Ausbildung bei ProSiebenSat.1 ging es los und spätestens mit dem Studium an der Münchner Filmhochschule habe ich immer die These vertreten, dass man das meiste einfach durchs Machen lernt. Kurz, ich wollte einfach so viel wie möglich drehen. Deshalb habe ich auch bei einigen 35-Stunden-Wettbewerben mitgewirkt. Die laufen wie folgt ab: Man bekommt am Freitag ein Thema oder bestimmte Gegenstände in die Hand gedrückt, und am Sonntagabend muss man den fertigen Film abgeben, der dann wiederum in einem Kino gezeigt wird.
Das ist ja schrecklich, das klingt nach purem Stress!
Also mir hat das immer großen Spaß bereitet. Okay, man muss halt mal zwei Nächte durchmachen. Aber unter diesen Bedingungen sind bestimmt drei, vier Kurzfilme entstanden. Zudem war ich schon immer jemand, der sich zum Publikum mit ins Kino reinsetzt und aufsaugt, wie die Menschen auf das, was ich mache, reagieren. Diese Wettbewerbe waren einfach eine wunderbare Präsentationsfläche.
Kommen wir nun zu Ihrem ersten langen Kinofilm, „Zweigstelle“. Hier fällt mir als erstes die illustre Besetzung auf. Wie bekommt man als Erstlingsregisseur so eine namhafte Darsteller-Riege vor die Kamera?
Da spielen drei Komponenten eine Rolle. Die erste: Der Freundeskreis. Da ich schon mit 17 in diese Branche eingestiegen bin, wurschtelt man sich über die Jahre hinweg ein Netzwerk zusammen. Dazu zählen unter anderem Simon Pearce, Maxi Schafroth, Teresa Rizos und Sina Wilke. An die habe ich größtenteils beim Schreiben gedacht, wie etwa Maxi Schafroth, der die Figur Fridolin einfach spielen musste.
Und welches ist die zweite Komponente?
Menschen, die ich ganz klassisch über die Agentur angefragt habe. Schon bei der ersten Drehbuchfassung war mir klar, dass ich zwei Sachbearbeiterinnen brauche. Dann habe ich mir überlegt: wen würde ich selbst gerne sehen, wenn ich ins Kino gehe? Und so fiel die Wahl auf Johanna Bittenbinder und Luise Kinseher. Die beiden haben dann auch eine Kombi-Anfrage von mir bekommen.

Die zwei Sachbearbeiterinnen vom Jenseits: Silvia (Johanna Bittenbinder) und Rita (Luise Kinseher) | © Luis Zeno Kuhn
Fehlt noch die dritte Komponente…
Das Casting der jungen Schauspieler, das sich über vier Monate hinzog. Als es dann darum ging, wen wir jetzt wie besetzen, hatte das weniger mit darstellerischen Höchstleistungen, sondern auch sehr viel mit Dynamik zu tun und wie man vom Spiel her funktioniert. Mir persönlich war es immer sehr wichtig, dass das Jung-Ensemble wahrhaftig ist. Und ich wollte, dass das Publikum sich mit den Nachwuchsdarstellern „connected“.
„Zweigstelle“ ist eine absurd-makabre Komödie, die ihren Schauplatz im Jenseits hat. Wie haben Sie die wirklich imposanten Locations für Ihren Film gefunden?
Zunächst einmal hatten wir zwei unfassbar tolle Szenenbildnerinnen, Ruth Grau und Hannah Nonnast , die gerade für unser geringes Budget eine irre Arbeit geleistet haben. Und dann hat mein Produzent Felix Mann den Kontakt zu den Penzing-Studios hergestellt. Darauf haben wir uns das alte Militärgelände angesehen, irgendwann kamen wir zu diesem alten Kloster mit seinen 200 Meter langen Gängen und Dutzenden von identischen Türen… Ich stand nur da und habe gesagt: Ich will hier drehen, das ist unsere Behörde.
Filme wie Ihrer, der sich mit dem Tabu-Thema Tod auseinandersetzt, sind rar, vielleicht auch deshalb, weil den Werken oft der populistische Ansatz fehlt. Wie gehen Sie mit dieser Problematik um?
Über diesen Aspekt habe ich nie groß nachgedacht, weil ich finde, dass die Komödie das stärkste Genre ist, um schwierige Themen zu behandeln. Denn wir geben dem Publikum so die Möglichkeit, das Ganze aus der Distanz zu beobachten. Außerdem ist es so, dass gute Komödien auch immer ein gutes Drama beinhalten.
Wie ist Ihr Filmgeschmack? Was sehen Sie sich aktuell an? Was bringt Sie zum Lachen?
Seit ein paar Wochen schaue ich das erste Mal in meinem Leben „Pastewka“. Und ich frage mich: Warum habe ich das bisher nie angesehen? Denn ich muss ständig herzhaft laut lachen, wenn ich abends davor sitze. Für mich ist bei einer Komödie immer noch das größte Gütesiegel, wenn man es schafft, jemanden, der allein in einem Raum sitzt, zum Lachen zu bringen.
Ich dachte, Sie sind eher Fan von Horrorfilmen?
Das stimmt nach wie vor. Ich grusel mich gerne, ich kann da einfach am besten abschalten. Und wenn ich mich nicht grusel, dann ist das auch okay. Unabhängig davon bin ich sehr dankbar für die Zeit, in der ich groß geworden bin, mit Filmen wie „Lola rennt“, „Das Experiment“, „Lammbock“ oder „Absolute Giganten“, die allesamt aus dem deutschen Kino heraus kamen. Ich wollte immer wegen diesen Filmen zum Film.
Nach erfolgreicher Premiere auf dem diesjährigen Filmfest München, wo „Zweigstelle“ den BR/SZ Publikumspreis gewinnen konnte, kommt jetzt der „Film der Umarmungen“ am 9. Oktober in die Kinos.
Film der Umarmungen… eine spannende Beobachtung.
Wieso?
Weil mir das selbst gar nicht bewusst war. Es war jetzt nicht so, dass ich viele Umarmungen in meinen Film hineinschreiben wollte.
Es sind aber doch einige im Film übrig geblieben, Und diese „Hugs“ verleihen dem Film durchaus viel Wärme, und ein positives Gefühl.
Jetzt fällt mir gerade ein, dass es in irgendeiner Buchfassung bei meinen beiden Sachbearbeiterinnen zur dritten Verabschiedung mit Umarmung kommt. Es stand wohl auch im Buch, dass sich Menschen immer umarmen müssen… ||
ZWEIGSTELLE
Deutschland, 2025 | Regie: Julius Grimm | Buch: Julius Grimm, Fabian Krebs | Mit: Sarah Mahita, Rainer Bock, Nhung Hong, David Ali Rashed, Johanna Bittenbinder, Luise Kinseher | 99 min. Kinostart: 9. Oktober
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