Die einzige 1938 nicht zerstörte Synagoge in München soll erhalten bleiben und restauriert werden.
Synagoge Reichenbachstraße
Beten und Lernen
Rachel Salamander strahlt, als sie die Muster für die Rekonstruktion der Fenster herzeigt. Als Gründerin und Leiterin der Literaturhandlung für Literatur zum Judentum ist die Germanistin, Publizistin und Buchhändlerin seit Anfang der 80er Jahre um die Wiederbelebung und Erneuerung jüdischer Kultur im Deutschland nach der Schoah bemüht. Dafür wurde sie zuletzt mit dem Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf geehrt. Sie freut sich also nicht nur über die Würdigung ihres bisherigen Schaffens, sondern über einen weiteren Meilenstein auf ihrem Weg. Und dazu gehören unbedingt die Muster dieser Fenster, deren pastellfarbene Motive auf den ersten Blick nach Jugendstil aussehen – freilich aber ganz ohne verspielte Schnörkel. Sie werden nach den glücklicherweise erhaltenen Originalplänen angefertigt, damals wie heute von der einstmals Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck.
Dreiteilig, versteht sich, nicht zweiteilig wie die Notversion aus dem Jahr 1947, als im Hinterhof der Reichenbachstraße 27 die zuletzt als Warenlager genutzte Synagoge hergerichtet wurde für in München gestrandete Displaced Persons, Überlebende der Schoah. Diese Fenster also sind wesentlicher Bestandteil bei der Sanierung der einstigen Nachkriegs-Hauptsynagoge. Sie steuern den Lichteinfall, welcher das Ocker der wiederherzustellenden Marmorvertäfelung sowie die blaue Wandfarbe des rechteckigen Innenraums durch das Glas zu einem schimmernden Türkis vermengen soll.
Wenn alles gut geht, bereits 2023. Das ist das Ziel des Vereins Synagoge Reichenbachstraße e. V., den Rachel Salamander 2013 zusammen mit dem befreundeten Anwalt Ron C. Jakubowicz gegründet hat. Initialzündung war Salamanders Entsetzen über den Verfall der »Reichenbachschul«, wo sie wie andere DP-Kinder einst betete. Dies in einem Teil der Stadt, wo sich schon einmal Anfang des 20. Jahrhunderts Ostjuden, damals auf der Flucht vor Pogromen, ansiedelt hatten, arme Leute, die hier ihre Gewerbe eröffneten und zunächst in der Reichenbachstraße 27 von einer Brauerei einen Raum kauften, den sie als Betsaal nutzten. Bis 1931 dort die dritte große Münchner Synagoge erbaut wurde, zusätzlich zur liberal-konservativen Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße und der orthodoxen in der Herzog-Heinrich-Straße. Eröffnet wurde sie nach rund vier Monaten Bauzeit am 5. September 1931 nach dem Entwurf von Gustav Meyerstein, einem der Neuen Sachlichkeit und dem Bauhaus anhängenden Architekten.
Es war der letzte sakrale Bau Münchens vor 1933, und die einzige Synagoge, welche in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wegen ihrer Lage inmitten von Wohnhäusern nicht angezündet und fortan als Metall- und Holzbearbeitungswerkstatt für jüdische Zwangsarbeiter zweckentfremdet wurde. Und selbst Jahre nach dem Holocaust musste die Reichenbach-Synagoge dann tatsächlich einen Brandanschlag überstehen: das antisemitische Attentat auf das Jüdische Altenheim am 13. Februar 1970 mit sieben Toten.
Versteckt im Hinterhof als Rückgebäude eines heruntergekommenen 70er-Jahre-Hauses, das von der Jüdischen Gemeinde nach wie vor genutzt wird, vergammelt die ungenutzte Reichenbach-Synagoge seit dem Jahr 2006; genau seit dem symbolträchtigen Tag, dem 9. November 2006, als die Ohel-Jakob-Synagoge mit ihren 585 Plätzen auf dem St.-Jakobs-Platz eröffnet wurde: »Mitten im Herzen der Stadt«, wie Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern seit 1985, nicht müde wird zu betonen. Wegen der neuen Hauptsynagoge geriet die Hinterhofschöne in Vergessenheit.
Bis 2013. Bis Rachel Salamanders und Ron C. Jakubowicz’ Initiative von der Präsidentin als »noble Idee« tituliert wurde und sie die Akteure mit einem »Machen Sie!« befeuerte. Die wertvolle Liegenschaft in deplorablem Zustand wird nunmehr im Auftrag der Gemeinde saniert und wiederhergestellt. Das kostet Geld. Von den veranschlagten zehn Millionen Euro ist die Finanzierung von neun Millionen dank öffentlicher Gelder von Staat, Freistaat und der Stadt München gesichert. Fehlt eine Million. Ebenso pikant wie schändlich: Eine Münchner Baufirma, welche die Reichenbach-Synagoge erbaut und dann 1938 tatkräftig an deren Verwüstung mitgewirkt hatte, verweigerte dem Verein ohne Begründung eine Spende für deren Sanierung. Der FC Bayern machte 100.000 Euro locker. Klingt gut, entspricht aber allenfalls dem Schwarzen unterm Fußnagel auf dem Spieler-Transfermarkt. Rachel Salamander hat, dies sei nur nebenbei erwähnt, kürzlich zusammen mit Jutta Fleckenstein den Briefwechsel aus dem Schweizer Exil des jüdischen BayernPräsidenten Kurt Landauer mit seiner späteren Frau Maria Baumann herausgegeben.
Die Restsumme bereitzustellen, sei Angelegenheit der Münchner Bürger, findet Rachel Salamander. Zu Recht. Nichts wäre besser geeignet, Baustellenbesucher der Reichenbach-Synagoge zu Spenden zu motivieren als die stimmungsvolle Installation des Fotografen und Filmers Thomas Dashuber. Dem ist es gelungen, atmosphärisch dicht in Ton und Bild, vor allen aber dank der Erzählungen von Angehörigen der zweiten Generation, den Nachgeborenen von Holocaustüberlebenden, etwas davon zu übermitteln, was die Reichenbach-Synagoge einmal war: ein gerettetes Stück ostjüdischen Lebens.
Rachel Salamander misst darüber hinaus der Wiederherstellung dieses historischen Baudenkmals von bemerkenswerter Güte nicht nur lokale, sondern internationale Bedeutung zu. Und: Der Ort ist nicht nur steinernes Zeugnis, sondern ein Politikum, ein politisches Statement. Es handelt sich eben auch um einen alt-neuen Bet- und Lernort. Dort werden nicht nur Mitglieder der – hauptsächlich durch die Zuwanderung von jüdischen »Kontingentflüchtlingen« aus den GUS-Staaten – auf 11.000 bis 15.000 Juden gewachsenen jüdischen Gemeinschaft in München ihren Platz finden. Ja, so viel ist gewiss, die ReichenbachSynagoge mit ihren 550 Plätzen wird in der wegen ihrer vielen Kirchen das »Bayerische Rom« genannten Stadt München vordringlich als solche genutzt werden – zusätzlich zur Hauptsynagoge am St.-Jakobs-Platz und den beiden Stadtteilsynagogen in der Georgen- und in der Possartstraße. Hinzu kommt noch die zu bauende Libeskind-Synagoge im Lehel für die Reformgemeinde.
Und, da die Synagoge, auf Jiddisch »Schul« genannt, auch immer Ort des Lernens ist für Fromme und Wissbegierige, weil das Judentum schlechthin eine Gemeinschaft von Lernenden ist, wird auch die Reichenbach-Synagoge ein Ort des Lernens sein: diesmal für Juden wie auch für Nichtjuden. Dafür steht auch die schon jetzt gedeihliche Kooperation mit dem Bayerischen Kultusministerium und dem Jüdischen Museum München. ||
SYNAGOGE REICHENBACHSTRASSE
Baustellenbesichtigung | Reichenbachstr. 27
mittwochs, 17 Uhr; sonntags, 11 Uhr | Eintritt frei | nur mit Anmeldung | Spendenkonto: DE65 2003 0300 0181 8180 27
Mehr zum Geschehen in München finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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