Einer der verrücktesten Streitherde in München liegt aktuell im Westen der Stadt: Zwei leicht geschwungene Hochhäuser des auch in München durch Allianz-Arena und Fünf Höfe bestens bekannten Schweizer Büros Herzog & de Meuron erhitzen die Gemüter schon seit Jahren. Jetzt steht das Projekt möglicherweise auf der Kippe.

Hochhäuser in München

Höhenangst

hochhäuser

So könnte es dann aussehen, das umstrittene Paketpost-Quartier | © Herzog & de Meuron including material from Google

Der überparteiliche Verein Hochhausstopp e. V. knüpft an das Bürgerbegehren von 2004 an, das der Münchner Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter initiiert hatte: Demnach sollte kein Gebäude innerhalb des Altstadtrings höher als die 99 Meter hohe Frauenkirche sein. Dieses Bürgerbegehren war seitdem wie in Stein gemeißelt, obwohl ein Bürgerbegehren juristisch nur zwölf Monate verbindlich ist. Aber Hochhäuser in München sind für 32.976 Münchner und Münchnerinnen (so viele Stimmen waren nötig, abgegeben wurden bei einem neuen Bürgerbegehren im April 2025 angeblich ca. 50.000) offenbar ein rotes Tuch. Unter der Ägide von CSU-Landtagsmitglied Robert Brannekämper sind Visualisierungen im Umlauf, die eine Stadtsilhouette zeigen, gegen die Frankfurt dörflich wirkt. Wer diesen Bildchen glaubt, der glaubt auch viel anderes.

Solche Darstellungen schüren Ängste bis zur Hysterie, statt einen sinnvollen Diskurs zu führen. Der jedoch ist vielleicht gar nicht gewünscht, weil gefälligst alles so bleiben soll, wie es ist. Die Initiative verkündet: »Unser Ziel: Stopp des Baus der 155 Meter hohen Hochhausgiganten an der Paketposthalle. Die Realisierung von zwei gigantischen Hochhaustürmen öffnet den Investoren Tür und Tor. Die städtische Hochhausstudie ebnet den Weg für den Bau weiterer Hochhäuser. Das wird den Charakter und die Stimmung in unserer Stadt dauerhaft und einschneidend verändern.« Dass die Stimmung in München kippt, liegt sicher nicht an ein paar Hochhäusern, die plötzlich schuld am hiesigen Wohnungsnotstand sein sollen. Die Hochhausdiskussion lenkt ab von dramatischen Fehlentscheidungen, die viel mehr Hysterie verdienen: Im Auftrag des Freistaats hat nicht nur Markus Söder (bevor er Ministerpräsident wurde) haufenweise Wohnungen an Investoren verscherbelt, die jetzt fehlen. Die Stadt München genehmigt Gewerbebauten, wo Wohnraum hingehört, und der CSU-OB-Kandidat Clemens Baumgärtner lobt Investoren bei Pressekonferenzen, dass sie »nicht der Verführung des Wohnungsbaus erlegen sind«. Und jetzt der CSU-Mann Brannekämper, der hohe Wohnhäuser generell für Teufelszeug hält und damit Traditionalisten, die die Münchner »Identität« retten wollen, auf Spur bringt. Welche Identität meint er denn? Angemessen wäre es, würde er eine kontinuierliche Diskussion über ökologisch sinnvolle, ästhetisch wegweisende und ökonomisch weitsichtige hohe Wohnhäuser anstoßen. Diesen Gebäudetypus entdeckt man nämlich schnell, wenn man ein bisschen über den eigenen Tellerrand hinausschaut (zum Vergleich: »Münchner Feuilleton« Nr. 121, August 2022). Veränderte Sichtachsen machen manchen Leuten Angst. Um Zukunftsfähigkeit zu garantieren, müssen aber Perspektiven neu ausgelotet werden. Weiträumige Versiegelung bei nicht vorhandenem öffentlichen Verkehrsnetz ist jedenfalls keine Variante, die der gesunde Menschenverstand gelten lassen kann.

Also heißt es: Höher denken, lustvoller planen, unbürokratischer bauen. Für Büros werden dauernd Hochhäuser gebaut. Besser gebaut, mit guten Materialien, viel Grün, Licht und Luft, versorgt mit Gemeinschaftsräumen und Infrastruktur, ließe sich darin auch wohnen. Und nicht nur für Besser- bis Bestverdienende. Es verlangt ja niemand, dass Herr Brannekämper seine Niederlassung im Münchner Villenviertel Bogenhausen aufgibt. Der Münchner Stadtrat hat im April 2025 dessen Bürgerbegehren aus juristischen Gründen zurückgewiesen. Ein demokratischer, transparenter Diskurs, der alle Argumente dafür und dagegen nachvollziehbar und sachlich auffächert, sieht jedoch anders aus. Brannekämper und sein Club werden gegen die Ablehnung klagen, was das Prozedere sinnlos in die Länge zieht. Aber die Zahl der abgegebenen Unterschriften zu ignorieren, ist nicht hinnehmbar.

Dass nicht umgekehrt schon vor Jahren gefragt wurde, wer gern Häuser über 99 Meter als Wohnstätte in München hätte, ist ein Versäumnis, das sich jetzt rächt. Brannekämper, selbst ausgebildeter Architekt, Sproß einer Immobilienverwaltung und Enkel des Münchner Dombaumeisters Theo Brannekämper, verkündete nach der Ablehnung: »Wir sind als überparteilicher Verein dankbar für die Unterstützung aus allen Bevölkerungsgruppen, die zeigt, dass unser München München bleiben muss, wie wir es alle lieben – München darf keine Hochhausstadt werden! Verhindern Sie mit uns den Dammbruch!« Das Denkmalnetz Bayern bläst ins selbe Horn: »(…) die gebaute Geschichte Münchens ist wertvollste Hauptsache, sie stiftet Identität – Identität für den einzelnen, für die Gemeinschaft, für die Stadtgesellschaft. Es gilt diese Identität Münchens zu schützen und zu verteidigen gegen eine ›Investoren-Moderne‹ (…)«. Das klingt nicht nur schrecklich gestrig, sondern beinahe schon unappetitlich. Dass der vage Begriff »Identität« viele Varianten zulässt, scheint den Verteidigern der Stadtgesellschaft nicht geläufig zu sein, und ohne die gescholtene »Investoren-Moderne«, die es zu allen Zeiten gab, würde München heute viel fehlen, was seine hochgelobte »Identität« ausmacht. ||

Einen weiteren Artikel von Frank Kaltenbach finden Sie ab morgen in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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