Das niederländische Architekturbüro MVRDV und sein Coming-Out als CO2-Verursacher.
MVRDV
Fehltritte? Na klar!

»WERK 12« im Werksviertel, München | © Ossip van Duivenbode
MVRDV ist ein weltweit renommiertes Architekturbüro. In Kürzeln ist es benannt nach den drei Architekten Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, die das Office 1993 in den Niederlanden gründeten, tätig bisher in 47 Ländern, mit über 300 Mitarbeitern. »Die Baubranche verursacht 40 Prozent des weltweiten Kohlenstoffausstoßes«, sagt Jan Knikker beim Ausstellungsrundgang über die drei Etagen des Hochbunkers am Münchner Viktualienmarkt, »sie ist der größte Verursacher des Klimawandels.« Der leitende Entwicklungsstratege bei MVRDV, geboren 1972 in Bad Soden, wurde mit den Prognosen des Club of Rome zu den »Grenzen des Wachstums« groß. Nun beichtet er die Klimasünden seines Arbeitgebers und will zusammen mit Sanne van der Burgh, Leiterin von MVRDV NEXT, zeigen, wie Architektur zu einem Werkzeug des Wandels werden kann.
Der Lift für den Porsche
Die niederländischen Architekten sind seit Mitte der neunziger Jahre vor allem mit ihren Konzepten des Verdichtens von urbaner Architektur bekannt geworden – mit den sogenannten Stapelungen. So entstand 2014 ein Penthouse in New York mit einem Aufzug zur Himmelsgarage im 12. Stock. »Damals war das innovativ, es gab einen Konsens, dass es gut war, aus heutiger Sicht sehen wir das als Fehltritt«, merkt Jan Knikker an. »Wir gingen als Büro vorneweg, wir waren in Sachen experimentelle Formgebung und Stadtplanung an erster Stelle. Aber wenn man voraus geht, wird man irgendwann faul, verlässt sich auf seinen
Vorsprung und macht vieles nicht mehr wirklich konsequent.« Knikker, seit 2008 bei MVRDV (zuvor bei Rem Koolhaas), fasste mit seinen KollegInnen 2017 den Entschluss, das Büro innerhalb von fünf Jahren nachhaltig zu machen. Dazu gehört das fleischlose Mittagessen genauso wie die Vorgabe, benötigte Arbeitsmaterialien aus Recyclingkreisläufen zu nutzen. Man gründete eine Stiftung, um die CO2-Emissionen zu kompensieren. Im Kleinen funktioniert das, aber dann sollten auch alle Bauten grün werden. Dass man das in so kurzer Zeit nicht schaffen kann, war allen klar, aber je radikaler die Vorgabe, so die Idee, desto entschiedener das Handeln.
Der Kampf um die Nachhaltigkeit

»Markthalle« | © Ossip van Duivenbode
In dem Raum im ersten Obergeschoss der Architekturgalerie sind viele der bisher 1.500 Projekte, die man in 30 Jahren verwirklicht hat, wie in einem Zeitstrahl auf kleinen Klebetafeln an den Wänden befestigt. Jeweils mit Bild und einem prägnanten Text auf Englisch. Ein Parcours des Scheiterns, aber auch der vorbildlichen Konzepte. So folgt dem Porschelift bald der Masterplan für das Büroviertel in OsloBjørvika (2016), das direkt neben dem Hauptbahnhof liegt. Die gut zu erreichenden Gebäude haben kaum Parkplätze, so dass die Mitarbeiter gezwungen sind, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Laut einer Studie des norwegischen Instituts für Verkehr spart diese Verlagerung von 12.500 zuvor auf die Stadt verteilten Arbeitsplätzen in das neue Viertel täglich 6.250 Autofahrten mit bis zu 110.000 Kilometern ein. Das macht 3.210 Tonnen CO2-Ersparnis pro Jahr und vermindert den Verkehr um mehr als 25 Millionen gefahrene Kilometer.
Zwischen Greenwashing und der Revolution in der Bauindustrie

»The O« im Mannheimer Stadtteil Franklin Mitte | © MVRDV
Die Ausstellung in München begreift Jan Knikker als das Coming Out von MVRDV als Klimasünder. Das erste Mal geht man mit den eigenen Verfehlungen an die Öffentlichkeit – und will andere ArchitektInnen ebenfalls zur Beichte animieren. Und dann zur Buße. Zum Versuch, es anders zu machen als bisher. Das ist bei den großen, weltweit operierenden Büros nicht einfach. Da geht es um unterschiedliche nationale Baugesetze, um die bisweilen unverrückbaren Vorgaben von Bauherren, um die Kosten. »Lange Zeit haben wir Greenwashing betrieben« sagt Knikker, »mit durchaus guten Intentionen. Jetzt versuchen wir komplett ehrlich zu sein. Nach wie vor bauen wir auch mit klimaschädlichem Beton, aber wir tun das nur in Fällen, wo wir keine andere Chance haben, versuchen den CO 2-Ausstoß pro Quadratmeter trotzdem zu verringern und die graue Energie in bestehenden Bauten zu erhalten. Das Beste ist einfach, nicht zu bauen – und stattdessen umzubauen. Als Architekten haben wir da die große Chance, viel zu bewirken.«

»Depot Boijmans Van Beuningen« Rotterdam | © Ossip van Duivenbode
Als renommiertes Büro ist es mutig, dermaßen selbstkritisch zu agieren. Die Ausstellung »Carbon Confessions« zeigt: Geh mit guten Beispielen voran. MVRDV macht Fortschritte. Für das Bürogebäude Monaco im Münchner Werksviertel hat man eine innovative Fassade aus recyceltem Plastikschindeln erfunden. Man experimentiert mit Lampen aus den Aluminiumresten von Lichtschienen. Man initiiert das Bauen im Bestand, entwirft Gebäude, die kaum Energie für den Unterhalt brauchen (wie die neue Markthalle in Rotterdam), arbeitet mit gesunden Materialien wie Lehm und hat eine Software entwickelt, mit der man geplante und bestehende Gebäude nachhaltiger gestalten kann. Das Computerprogramm wird dieses Jahr als Open-Source-Tool freigegeben. Jan Knikker meint: »Wir scheitern dauernd an unseren Ambitionen, aber wir sollten es versuchen!« ||
CARBON CONFESSIONS. MVRDV
Architekturgalerie | Blumenstr. 22 | bis 27. Februar | Mi–Sa 15–19 Uhr
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