Im Teamtheater inszenierte Philipp Jescheck »Fettes Schwein« von Neil LaBute.
Fettes Schwein
Wie viel Mobbing hält die Liebe aus?

Hätten eigentlich eine super Zeit: Helen (Lena Schlagintweit) und Tom (Simon Wenigerkind) | © Robert Haas
Mit den Mechanismen von Schönheitsnormen und gesellschaftlicher Akzeptanz beschäftigt sich der US-Dramatiker Neil LaBute schon seit über 30 Jahren. 2004 schrieb er das Stück »Fettes Schwein« – der unhöfliche Titel meint die Hauptfigur Helen. Denn die Bibliothekarin ist stark adipös. Die Einzige, die damit kein Problem hat, ist sie selbst. Helen hat ihr Übergewicht akzeptiert, ist klug, witzig, schlagfertig und kontaktfreudig. Vor allem kann sie ansteckend lachen. Genau deshalb verliebt sich der attraktive Durchschnittstyp Tom in sie. Und ist total glücklich mit ihr.
Im Teamtheater Tankstelle hat Philipp Jescheck das Vierpersonenstück inszeniert, mit großem Mut zur Abstraktion. Als Bühne stellte Michele Lorenzini einfach vier silbergraue breite Stufen hin. Es gibt keine Requisiten, die Schauspieler*innen zeigen alle Aktionen pantomimisch und liefern auch von den Seiten aus live die Geräusche dazu. Lena Schlagintweit als Helen ist höchstens vollschlank zu nennen, die fehlenden Pfunde erspielt sie selbstbewusst. Beim Mittagsimbiss lädt sie Tom (Simon Wenigerkind) ein, sich zu ihr zu setzen, er ist angezogen von ihrer offenherzigen Fröhlichkeit. Bald schwelgen beide in Verliebtheit – da streuen sie sogar Rosenblätter. Zart singt Helen »You’re the one I want«.
Leider hat Tom Bürokollegen, denen er Helen nicht vorzeigen mag. Nick (Adrian Spielbauer) ist ein aufdringlich jovialer, neugieriger Kumpel, der für alles nur Spott und Schmähungen übrig hat, jede Neuigkeit sofort weitertratscht und die üble Nachrede dann zum Scherz erklärt. Und Toms Ex Jenny, bei Alexandra Hacker eine schicke Businesstussi, hätte ihn gern zurück und steigert sich in rasende Eifersucht. Als Nick einen Handy-Schnappschuss von Helen verbreitet, reden alle vom fetten Schwein. Helen kommen Zweifel, ob Tom wirklich zu ihr steht. Er kann dem sozialen Druck nicht standhalten, die Liebe reicht nicht, um die gesellschaftliche Verachtung aufzufangen. Er bekennt sich als Feigling, Helens Miene verrutscht langsam vom Lächeln in eine tiefe Traurigkeit. Aus der Traum vom Happy End gegen alle Konventionen. In Jeschecks hochpräziser Regie zeichnet das Ensemble vier überzeugende Charaktere, von denen zwei die vernichtende Macht von Mobbing und Bodyshaming benutzen und zwei daran zerbrechen. Das ist ebenso spannend wie beklemmend. ||
FETTES SCHWEIN
Teamtheater | Am Einlaß 2a | bis 12. April | Mi bis Sa 20 Uhr | Tickets: 089 2604333
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