»Wer immer hofft, stirbt singend« holt Alexander Kluges Film »Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos« auf die Bühne der Kammerspiele.

Wer immer hofft, stirbt singend

Hoffnung aufspüren

wer immer hofft stirbt singend

Leni Peickert (Julia Gräfner) will den Zirkus retten © Maurice Korbel

Der Abend endet mit einem Drahtseilakt. Die Schauspielerin Johanna Kappauf balanciert mehrere Meter über dem Boden auf einem quer über die Bühne der Kammerspiele gespannten Seil. Gesichert ist sie mit einem Seilgurt. Dort oben rezitiert sie Walter Benjamins berühmten Aphorismus vom Engel der Geschichte. Der Engel wird vom Sturm des Fortschritts in die Zukunft getrieben, während der Trümmerhaufen der Vergangenheit sich stetig vor ihm auftürmt. Oder anders ausgedrückt: Steuert die Menschheitsgeschichte auf ein vorgegebenes Ziel zu oder ist jeglicher Fortschrittsglaube nur Illusion? Angesichts des derzeitigen Weltgeschehens wieder eine mehr als aktuelle Frage.

Das Schlussbild passt perfekt zu einem Theaterabend, der sich ganz der Denkakrobatik Alexander Kluges widmet. Der Regisseur Jan-Christoph Gockel und der Dramaturg Claus Philipp übersetzen in »Wer immer hofft, stirbt singend« Kluges überquellenden Gedankenfundus in die theatrale Form. Dafür greifen sie auf einen von Kluges bekanntesten Filmen zurück. In »Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos« von 1968 erzählt Kluge die Geschichte der Artistin Leni Peickert, die einen neuen Reformzirkus gründen möchte, nachdem ihr Vater bei einem Sturz vom Trapez ums Leben kam.

Für Kluge ist der Zirkus eine große Metapher, wie es in der Einführung zur Inszenierung heißt: Zirkus stelle für ihn das Überleben auf einem Drahtseil dar. Die Rettung vor der Wahrscheinlichkeit des Absturzes durch ein Urvertrauen auf das eigene Können, das Balancieren, das Tricksen und Täuschen. Und so wird auch die Bühne des Schauspielhauses in drei Akten zu einer großen Zirkusrevue. Die Inszenierung hat dabei so wenig Handlung und ist so assoziativ wie Kluges Film. Die Truppe um Leni Peickert, gespielt von Julia Gräfner, möchte den Zirkus reformieren und aus ihm einen modernen und wissenschaftlichen Zirkus machen. Tiere sollen nicht dressiert, sondern so authentisch wie möglich gezeigt werden, die Zauberei so transparent wie möglich. Denn nur so erhält der Zirkus einen Sinn. Aber wie das alles nur anstellen? Zum Fernsehen gehen und Homestorys aus dem Zirkus verkaufen? Das Massenpublikum ansprechen? Ratlosigkeit macht sich auf der Bühne breit. Eine Ratlosigkeit, die zur Suche wird.

Herzstück der Bühne ist ein Zirkuswagen auf vier Rädern, über dem eine Kaskade an Glühbirnen in der Form eines Zirkuszelts herabhängt. Fast schon schamlos gut gelaunt und humorvoll spielt das Ensemble auf der Bühne, hinter der Bühne, im Zirkuswagen oder nebenan in der Kantine bei einem Glas Bier oder Wein. Film-, Musik- und Hörspieleinlagen wechseln sich ab. Es wird getanzt, gesungen und Feuer gespuckt. Popcorntüten landen im Publikum. Oder Marionettenpuppen von Puppenbauer Michael Pietsch wandern über die Bühne und sind Teil der Artisteneinlagen.

Der Abend ist nicht nur die Reparatur einer Revue, wie es im Untertitel heißt, sondern er ist auch der Versuch einer Reparatur unseres Denkens, das so schwer gebeutelt ist vom unaufhörlichen Stakkato an negativen Nachrichten. Denn vor allem das kann von Kluge gelernt werden: im scheinbar Unmöglichen das Mögliche zu finden und gegen jede Wahrscheinlichkeit doch noch Hoffnung aufzuspüren. ||

WER IMMER HOFFT, STIRBT SINGEND
Kammerspiele | 22. Mai | 20 Uhr | Tickets: 089 23396600

Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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