HochX und Pathos zeigen im Februar einige Strömungen der aktuellen Performance-Szene.

Peformance in München: HochX und Pathos

Von Menschen und Tieren

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Wo verläuft die Grenze zwischen Mensch und Tier, fragt die Performance »Wolfes« im HochX | © Eva Kirsch

Bei Double Features denkt man in erster Linie nicht an Theater, entstammt doch der Begriff der gängigen Kinopraxis im Hollywood der 1930er und 1940er, wo mit dem Kauf einer Kinokarte zwei Spielfilme (»features«) hintereinander angeschaut werden konnten. Das Prinzip kann natürlich auch im Theater angewendet werden. Das Theaterkollektiv »Bambi Bambule« aus Freiburg und Berlin gastiert im Februar mit gleich zwei Produktionen im Pathos. Für »Der DJ und mein Vater« verwandelt sich die Bühne des Schwere Reiter kurzerhand in ein Kino. In ihrem Theaterfilm geht die Regisseurin und Schauspielerin Lisa Marie Stojčev als Tochter auf Spurensuche nach den Erinnerungen an den verstorbenen Vater. Welche sind noch vorhanden, welche verblassen und welche müssen losgelassen werden? Fest steht: Auch nach dem Tod endet die Beziehung zu Verstorbenen nicht. Die Erinnerungen an den Vater sind brüchig und durchzogen von Freude, Humor und Schmerz. Fragen zur eigenen Herkunft und der sozialen Schicht treten ebenso hervor wie zum weiblichen Ich und seinen emotionalen Bindungen. Was gehört zur Tochter, was zum Vater, was zu beiden? Die Grenzen zwischen Erzähltem, Erlebtem und Erfundenen verschwimmen hier im Zusammenspiel aus Musik, Theater und Film. Im Anschluss an den Film folgt ein Nachgespräch mit dem Theaterkollektiv Bambi Bambule.

Im zweiten Teil des Double Features heißt es: »We Love To Entfern you«. Marie Jordan und Lisa Marie Stojčev erkunden in ihrer Performance die Mythen und Bilder der Vulva und wie diese das Verhältnis zur eigenen Sexualität und zum eigenen Genital beeinflusst haben. Sie empören sich über biblische Enthaltsamkeitsgebote, feiern mythologische Vulva-Held*innen und verhandeln historische Verleugnungen der Weiblichkeit. Sie hinterfragen ihren anerzogenen Sprachgebrauch und eigene Glaubenssätze, bejubeln gesellschaftliche Emanzipationserfolge und fragen nach den Möglichkeiten einer Utopie fernab einer geschlechtlichen Binarität. Wer für beide Produktionen des Double Features eine Karte kauft, erhält eine Ermäßigung von 5 Euro.

Die Theaterbühne ist neben dem Spiel mit der Imagination und der Fantasie immer auch ein Ort der Repräsentation und Verhandlung gesellschaftlicher Wirklichkeiten – nicht nur in den Stücken, sondern ebenso in den Produktionsverhältnissen. Denn von ausgrenzenden und diskriminierenden Strukturen sind auch Theaterräume nicht gänzlich befreit. Struktureller Rassismus und langjährige, längst eingefahrene Netzwerke erschweren oftmals den Zugang unterrepräsentierter und marginalisierter Künstler*innen in fest etablierte Theaterhäuser. Um auf diesen Zustandzu reagieren, hat sich der Writers Room des Projekts »Bitter (Sweet) Home« gegründet. BPoc (Black and People of Color)-Autor*innen erarbeiten dort als Kollektiv neue Theatertexte mit antirassistischer Haltung. In ihrer ersten Stückentwicklung »Gestern(Heute)Morgen« gehen sie dem Wesen des Ich auf den Grund. Im Rahmen der Performance lädt das Projekt »Bitter (Sweet) Home« zu einem öffentlichen Panel über Arbeitsprozesse, die Notwendigkeit von »Safer Spaces« im Theater und die Zusammenarbeit freier BPoc-Künstler*innen mit den großen Theaterinstitutionen.

Absurd wird es auf der Bühne des Schwere Reiter. Das finnische Performanceduo von Studio Total geht mit seiner Radiosendung »Radio Love« live on Air. Träume verwandeln sich in obskure Bilder und die bittere Realität trifft auf die Hemmungslosigkeit des Radioäthers, wenn die beiden Moderatoren Geschichten vereinsamter Menschen zusammensuchen. Inspiriert von den lakonischen, skurrilen und tristen Filmen von Ari Kaurismäki, David Lynch und Rainer Werner Fassbinder beleuchten sie in ihrer Radiosendung universelle Themen wie Einsamkeit, Anderssein und Liebe. Anna Lipponen und Petri Tuhkanen begrüßen dabei an jedem der beiden Abende einen anderen lokalen Studiogast auf der Bühne.

Eine nicht weniger absurde Live-Radioshow gibt es im Februar im HochX zu sehen und hören. »Turbovolk3000« lädt zu einem Abend voller Kitsch, Nostalgie und Exzess ein. Der Star des Abends ist ein mehr als skurriles Musikgenre. Nach dem Zerfall des kommunistischen Mehrvölkerstaats Jugoslawien blieb ein sonderbares musikalisches Phänomen zurück: der Turbofolk. Ein schräger Mix aus Techno, Pop, Rock, Trance und orientalischem Einfluss, der eine jugoslawische Identität schaffen und den Sound der sozialistischen Utopie darstellen sollte. Vor allem in den 1990ern erfreute sich das Genre in den neu gegründeten Balkanstaaten einer beispiellosen Popularität, die bis heute andauert. Der Moderator von »Turbovolk3000« hat ein Ziel: Das utopische Erbe der Musik bewahren und ein neues, sozialistisches Volk gründen, das Turbovolk. Die Performance entführt aus der bitteren pandemischen Realität und lädt ein zu einem Abend voller Eskapismus, Leichtigkeit und Vergnügen. Denn die Möglichkeiten einer schönen neue Welt liegen uns zu Füßen, man muss sie sich nur holen.

In Zeiten des fortschreitenden Klimawandels, eines rasanten Artensterbens und der stetigen Technologisierung unseres Lebens stellt sich die Frage, wie wir in und mit unserer Umwelt, sprich den Lebewesen um uns herum, leben wollen. Ist der Mensch auf der einen Seite, die Natur auf der anderen? »Wolves – I travel in packs« von Amélie Haller und Victoria Link versucht neue Denkräume im MenschNatur-Verhältnis zu ergründen. Im Spannungsfeld zwischen Vereinzelung und Kollektivität versucht die Performance, vermeintlich klare Grenzen zwischen Mensch und Tier, Körper und Technik, aber auch Traum und Realität aufzulösen. Dabei werden eigene Überlegungen mit Textfragmenten der französischen Poststrukturalisten Gilles Deleuze und Felix Guattari und der amerikanischen Science-Fiction-Autorin Octavia E. Butler verwoben. »Wolves – I travel in packs« gewann den Hauptpreis für Nachwuchskünstler beim Wortschau-Festival im Pepper Theater in Neuperlach. ||

TURBOVOLK 3000/WOLFES – I TRAVEL IN PACKS
HochX | Entenbachstr. 37 | 10., 12., 13. Feb./25.–27. Feb. | 20 Uhr | Tickets: 089 90155102

DER DJ IST MEIN VATER/LOVE TO ENTFERN YOU/RADIO LOVE
Schwere Reiter | Dachauer Straße 114a
8., 9. Feb. /11., 12. Feb./18., 19. Feb. | 19 Uhr

GESTERN(HEUTE)MORGEN
Pathos | Dachauer Straße 110d | 11., 12. Feb.
20 Uhr | Tickets für Pathos und Schwere Reiter: 0152 05345609

Weitere Texte zum Geschehen auf Münchens Bühnen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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