Die GOP-Show »Wilderness – Treffen im Wald« ist ein fabelhaftes Skurrilitäten-Kabinett.
Wilderness
Sympathischer Irrsinn
Erstmals in der Geschichte des GOP sei eine Show vom Leben eines seiner Künstler inspiriert, erklärt Direktor Peter Weil. Aber so ganz ernst zu nehmen ist das nicht. Der Kunstradkönner Jacques Schneider mag in seiner Hütte an der Algarve Holz hacken, Bienen preisgekrönten Honig abschwatzen und lieber mit seinen selbst gezüchteten Eseln sprechen als mit Menschen, aber vermutlich wird er trotzdem nicht gleich die Säge heiß laufen lassen, wenn jemand ihn besucht. Und ob es dann gleich so viele Besucher sind, die sein Idyll besiedeln?
Ausgesucht schräge Persönlichkeiten sind es obendrein, die in »Wilderness – Treffen im Wald« mit Wurfzelt und eigens mitgebrachter Blockhaussauna eine recht aufgeräumt wirkende Lichtung entern. Kaum Wald, fast nur domestiziertes Holz ist in Sicht. Die titelgebende Wildnis zeigt sich vor allem in anarchischen Fantasien, die dafür sorgen, dass keine Szene dieses grandiosen Abends in vorhersehbaren Bahnen verläuft. Nicht die der jungen, in Lappland aufgewachsenen Sirje Tolonen, die mit ihren Hula-Hoop-Reifen sweete Mädchendinge macht und Sekunden später dem von Hardrockklängen angetriebenen Wahnsinn zu verfallen scheint (und vice versa). Nicht die der starken Zapata Brothers aus Kolumbien, die zwischen den Slow-Motion-Sprüngen auf ihrem Schleuderbrett immer wieder halbstark gockeln und raufen. Und erst recht nicht die gemeinsamen und Soloszenen des Paares, das mit Schottenrock (Perry Rose) und tantiger Brille (Rachel Ponsonby) auf ältlich macht, um dann mit britischem Humor und einem unfassbar breiten musikalischen Repertoire den Abend zu rocken. Bizets »Carmen« mit dem Publikum einstudieren oder beim Singen einen Reifen um den Hals jonglieren lassen: Wer bitte kommt auf so einen kranken und irre lustigen Quatsch?
Sabine Rieck und ihr mitspielender Co-Regisseur Jacques Schneider haben die Kollegen, von denen außerordentlich viele aus Zirkusfamilien stammen, tüchtig improvisieren lassen. Das hat sie zu einer Gruppe zusammengeschweißt, in der jeder und jede Einzelne an den Ideen und dem Können der anderen partizipiert und wächst. Gleich ob der kahlköpfiglangbärtige Oberschrat Schneider mit seinem Rad vom Trampolin der Kolumbianer abhebt oder der an Vertikaltuch und Seil gleichermaßen grazilen Silvana Sanchirico auf halbem Wege entgegenfliegt und -tanzt. Auch Nachwuchsschrat Matias Salmenaho, der seine kräftigen Muskeln gerne in enge und bunte Outfits steckt und skaten, Keulen fliegen lassen und auch sonst so manches kann, mischt praktisch überall mit. Sein Rückzugsort ist die Bühnensauna, über die seine kauzig wirkende Partnerin Erika Ahola wacht, mit der Matias auch gemeinsam kopfunter in zwei Wassereimer taucht. Vorher Nasenklammern aufsetzen nicht vergessen! Doch Erikas Handstandnummer ist nicht nur der Knaller, die Finnin tourt auch mit ihrer eigenen zeitgenössischen Zirkuskompanie Kaaos Kaamos durch die Welt. Nur zu! Von solchen Botschaftern des sympathischen Irrsinns und unerschöpflichen Reichtums von Akrobatik und Varieté kann es gar nicht genug geben! ||
WILDERNESS
GOP Varieté-Theater | Maximilianstr. 47 | bis 10. März | Di bis Do 20 Uhr, Fr, Sa 17.30 und 21 Uhr, So 14.30 und 18.30 Uhr | Tickets: 089 210288444
Weitere Theaterkritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Zukunft des Kulturjournalismus? Dorte Lena Eilers im Gespräch
Die Zofen: Jean Genets Stück am Volkstheater
»Bayerische Suffragetten« an den Münchner Kammerspielen
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton