Nur noch bis Sonntag! Christiane Mudra thematisiert in ihrer neuesten immersiven Performance »Hotel Utopia« die Ungerechtigkeiten und Absurditäten, die Nationalstaaten, Pässe und Abstammung mit sich bringen. Die Besprechung von Christiane Wechselberger gibt es hier exklusiv online.

Hotel Utopia

Im Niemandsland

hotel utopia

© Yavuz Narin

Seit 31.12.2022 gilt das Chancen-Aufenthaltsrecht. Wer nach Deutschland geflüchtet und im Besitz einer Duldung ist, kann innerhalb von 18 Monaten die Voraussetzungen für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erfüllen. Wenn er oder sie acht Hürden überwindet. Eine davon ist die Identitätsklärung.

Irgendwie hat sich zu deutschen Ämtern immer noch nicht herumgesprochen, dass es in großen Teilen der Welt weder Einwohnermeldeämter noch Geburtsurkunden noch sonstige Registrierungen gibt. Und wenn es sie gibt, wurden sie durch Krieg oft zerstört und die Daten gingen verloren. Ganz abgesehen davon, dass Menschen nicht in ein Land, das sie töten oder einsperren will, zurückkehren können, um Papiere zu besorgen. Aber das ist nur ein Aspekt von gefühlt hunderten, die Christiane Mudra in ihrer neuen Performance »Hotel Utopia« aufgreift. Sie nennt ihre immersive Theaterarbeit »ein interaktives Gesellschaftsspiel über Grenzen, Bürokratie und den Wert von Pässen«. Der ist auch verzeichnet in den Dokumenten, die das Publikum von zwei freundlichen Damen im Kittel überreicht bekommt, zusammen mit Geld (meist sehr wenig), einem Zettel für Deutsch- und Integrationskurse und einem Kugelschreiber. Schließlich gilt es viele unverständliche Anträge auszufüllen, bis man im Niemandsland des Wartens landet.

Japan hat es gut, im Passranking steht es auf Platz 4. Nicht wie Afghanistan, das steht auf 93. Neben anderen Infos steht das in den Pässen, die das Publikum ausgehändigt bekommt. Trotzdem hat die Japanerin koreanischer Abstammung Probleme, ihre hochklassige Ausbildung in Deutschland anerkennen zu lassen. Der unbegleitete Minderjährige darf ohne Paten ohnehin auf kein Amt. Die reiche Russin erlangt ihre Papiere durch Bestechung, behauptet der Flurfunk. Und Flure gibt es reichlich in der klug gewählten Location im Kunstlabor, das mal das Gesundheitshaus war. Die Gänge, die noch Amtsstubengeruch atmen, kann man immer im Kreis herum ablaufen, auf der Suche nach der nächsten Antragsstelle. Ausländeramt A–K, BAMF, GGS, Cafeteria, Kursraum und: das Wohnungsamt, in dessen Raum Markus Schubert, zuständig für System- Architektur und Gamedesign der Performance eine sehr schiefe Ebene gebaut hat. Wenn es heißt, das Zimmer sei endlich mal wieder besetzt, fängt Gerenne in die Richtung an. Doch der Beamte (Richard Manualpillai) verschwindet meist gleich wieder, wie überhaupt die Amtsbelegschaft in roten Klamotten, die an 60er-Jahre-Science-Ficiton erinnern (Kostüme: Sarah Silbermann), aus den Büros verschwindet, wenn es trötet und ein Notfall ausgerufen wird.

Meriam Abbas, Sebastian Gerasch, Gabriele Graf, Melda Hazırcı, Ariella Hirshfeld, Richard Manualpillai und Waki Meier bilden das diverse Ensemble, das uns Antragsteller abfertigt (aber mit Bonbon), und mit fremden Sprachen (unter anderem Arabisch und Hebräisch) überfordert. In einer Art Hauptgang stellen sie sich regelmäßig auf und geben chorisch Einblick in die Ungerechtigkeiten des Nationalismus. Oder wissen Sie, dass Frauen in Deutschland bis 1975 ihre Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben konnten? Das heißt Kinder deutscher Mütter wurden, wenn sie Pech hatten, irakische Staatsbürger (Rang 93 im Passranking). So viel zum ius sanguinis. Staatenlosigkeit wird dafür weitervererbt und sorgt für Chancenlosigkeit in der ganzen Welt. Zwölf Millionen Menschen in Deutschland dürfen nicht wählen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Machen doch diese zwölf Millionen zum großen Teil die Arbeit, die wir so dringend benötigen: als Pfleger, Busfahrerinnen, Erzieher, Verkäuferinnen.

Überforderung und Hoffnungslosigkeit machen sich breit, auch wenn es für uns nur ein Spiel ist. Da nützt es auch nicht viel, immer wieder den Code aus dem erhaltenen Pass an das Lesegerät zu halten, um zu sehen, wie viel man schon erreicht hat. Das zeigt nämlich nicht an, was man noch alles nachweisen muss. Nur dass man im Nationalitätenlotto Glück haben sollte, das wird überdeutlich.

HOTEL UTOPIA
Kunstlabor 2 | Bis 12. November | Dachauer Str. 90 / Ecke Sandstraße | 19, 19.20, 19.40 Uhr | Tickets

Weitere Theaterkritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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