Familiengeschichte als Spiegel der Weltgeschichte erzählt Petra Winterstellers Stück »Das letzte Mal …?« im theater … und so fort.
Das letzte Mal …?
Wir sind doch nicht die Buddenbrooks!

Adela Florow als Katja Baumann © Heiko Dietz
Zwei alte Lederkoffer aus einer anderen Zeit stehen fast unsichtbar rechts im Bühnenhintergrund. Sie sind das einzige Requisit, das auf den Inhalt von Petra Winterstellers neuem Stück »Das letzte Mal …?« verweist, dessen Titel sich erst ganz am Schluss erschließt. Ansonsten stehen auf der Bühne (Ausstattung: Heinz Konrad) im theater … und so fort nur ein kleiner Tisch und ein Stuhl vor einer hellen Leinwand. Da hinein stürmt Adela Florow als Katja Baumann. Ein wenig hektisch und fahrig und auch aufgeregt und mit einer Riesenkiste Lutscher. Sie hatte Kinder erwartet. An der Schule ihres Enkels Timo hat es Reibereien gegeben, aber die Oma kann sich nicht vorstellen, dass ihr Timo da beteiligt war. Anscheinend ging es um das Thema Migrationshintergrund. Jedenfalls gibt es deswegen ein Pilotprojekt, und sie soll jetzt drüber reden, wie die Flüchtlingskrise zu bewältigen ist. Aber woher soll sie das denn wissen?
Die sportlich adrette Katja, die Florow gestenreich und in ständiger Bewegung spielt, hat jedenfalls einiges zu erzählen. Ihre Tochter Silvia sagt immer zu ihr, sie solle ihr Leben aufschreiben. Aber: »Wir sind doch nicht die Buddenbrooks! Wir sind die Baumanns«, meint Katja dazu. Und schließlich ist sie nur eine einfache Konditorin. Aber bestimmte Plätzchen kriegt sie nicht so hin wie ihre Metzmama, die Oma, die dem Völkermord an den Armeniern durch die Jungtürken entkam und die sie 1968 bei ihrer Flucht aus Bulgarien zurücklassen mussten.
In vielen Familien heißt es genervt »Opa erzählt mal wieder vom Krieg«, wenn jemand Geschichten aus der Vergangenheit hervorkramt. Auch Silvia rollt immer mit den Augen, weil Katja vom Hundertsten ins Tausendste kommt, was zum Running Gag von Petra Winterstellers Inszenierung wird. Verschlungen, mit Zeitsprüngen und illustriert von Filmprojektionen, die Zeitgeschichte erklären, erzählt die Frau mit armenisch-bulgarisch-deutschen Wurzeln die Geschichte ihrer Flucht mit den Eltern, als sie sieben Jahre alt war. Von Bonzengold, das im Kinderkleid eingenäht wurde, von Angst und Warten und Warten und Angst. »Das alles hätte auch richtig böse ausgehen können, wenn nicht so viele geholfen hätten«, meint Katja. Ein österreichisches Paar im Restaurant, ein Angestellter im Konsulat, ein jugoslawischer Passkontrolleur. In ihrer Geschichte steckt auch Autobiografisches von Adela Florow. »Die Flucht trägt man immer mit sich herum«, weiß sie. Und das alles nur, weil sie in einem freien Land leben wollten. Einem Land, in dem viele Menschen immer nur Mangel sehen und nie die Freiheit. Vielleicht sollte man so manchen Geschichten besser zuhören und daraus Schlüsse für die Gegenwart ziehen. Der Theaterabend ist jedenfalls ein Plädoyer für die altmodische Nächstenliebe.
Das letzte mal …?
theater … und so fort | Hinterbärenbadstr. 2 | 22. Mai bis 1. Juni| Do bis Sa 20 Uhr, So 18 Uhr | Tickets: 089 23219877
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