1904 und heute: Eine Ausstellung der Münchener Secession kombiniert einen prägenden historischen Moment und eine lange Tradition. Noch bis zum 27. April in der Antikensammlung.

Münchener Secession / Deutscher Künstlerbund

Mit Helm und Megaphon

münchener secession

Franz von Stucks Plakat zur I. Secessionsausstellung (1893) aus der Sammlung von Paul und Diana Tauchner hängt neben dem Athenakopf der Glyptothek. Der antike Kopf, römische Kopie eines Originals um 460 v. Chr., inspirierte den Künstler zur Gestaltung des Plakats und weiterer Motive

Die Münchner waren die ersten. 1892, als sich die avancierten, an der sich international entwickelnden Moderne orientierenden Künstler (eine Frau war damals nicht dabei) lossagten von den alteingesessenen Platzhirschen. Der allmächtige Künstlerfürst Franz von Lenbach und seine Freunde in der Allotria und Kollegen in der königlich privilegierten Münchner Künstlergenossenschaft bestimmten seit Langem die gründerzeitliche Ästhetik, künstlerische und gesellschaftliche Geltung und die konservative Ausstellungspolitik. Also: Secession! 96 Mitglieder der Künstlergenossenschaft, fast zehn Prozent, traten aus – darunter Lovis Corinth, Max Liebermann, Adolf Hölzel und Franz von Stuck – und gründeten am 4. April 1892 den »Verein bildender Künstler Münchens e.V. – Secession«. Der Name machte Schule: 1897 formierte sich die, künstlerisch radikalere, Wiener Secession und 1900 dann in der modernen Kunstmetropole die Berliner Secession. Die Münchner Pioniere hatten anfangs Anlaufschwierigkeiten beim Finden eines Ausstellungsgebäudes. Eine erste Ausstellung fand in Berlin statt, in der Kunsthalle am Lehrter Bahnhof. Auch hatte die Stadt Frankfurt Räumlichkeiten angeboten, plus 50.000 Goldmark, wenn der Verein dort seinen Sitz genommen hätte. Gefördert vom Münchner Verleger Georg Hirth eröffnete die Münchener Secession 1893 ihr eigenes Haus an der Prinzregentenstraße mit ihrer ersten »Internationalen Kunstausstellung«, die Furore machte. Moderne Meister und junge Talente: Die Qualität sollte entscheidend sein für die in großer Bandbreite gezeigte aktuelle Kunst. Präsidenten waren der heute vergessene Bruno Piglhein und Hugo von Habermann, später Fritz von Uhde, der prominenteste Protagonist freilich war Franz von Stuck, der auch die Plakate und das Signet entwarf, die behelmte Pallas Athene.

Stucks Plakat von 1893 und sein Vorbild, ein fein restaurierter antiker Marmorkopf der Göttin, zählen nun zu den Highlights der Ausstellung in der Staatlichen Antikensammlung. Das Gebäude am Königsplatz beherbergte im 19. Jahrhundert Kunst- und Industrieausstellungen, auch das königliche Antiquarium, bis 1898 die Secession einzog. Und dort 1904 einen weiteren Höhepunkt ihrer Erfolgsspur feierte: ihre X. Ausstellung, zusammen mit dem neu in Weimar gegründeten, überregionalen Deutschen Künstlerbund, quasi einem Dachverband der Modernen. Die Organisationen gibt es beide noch, und so bietet die »Combo« betitelte Ausstellung nicht nur eine historische Reminiszenz, sondern auch eine zeitgenössische Standortbestimmung mit 17 aktuellen Positionen von Künstlerinnen und Künstlern der beiden Vereine, zusammengestellt von einer gemeinsamen Jury von Secession und Künstlerbund.

Grandios überfüllt, bis weit in die Nebenräume, war entsprechend die Eröffnung. Sehr viele Künstler*innen waren da, nebst beruflichen und privaten Beziehungspersonen, und zeugten so von der Wichtigkeit solcher Vereinsorganisationen. Auch das »erste lebende Kunstwerk«, der seit 55 Jahren aktive »Totalkünstler« Timm Ulrichs war angereist (er ist doppeltes Vereinsmitglied). Auch einer seiner Kunst-Körper war anwesend, in Form der konzeptuellen Skulptur »im Sockel – vom Sockel« (1981), die einen Bronzeabguss seines nackten Leibs in zwei Teilen mit zwei Sockeln kombiniert. Dieter Rehm brachte 1983 geisterhafte Fotos auf die Leinwand, und Karin Sander hat 1994 ein rohes Hühnerei glänzend poliert. Das Künstlerduo bankleer aktiviert seine mobile Megaphon-Skulptur »tohubassbuuh« bei Performances auf der Straße. Neuere Arbeiten zeigen unter anderen das King Kong Kunstkabinett, Doris Hahlweg und Afra Dopfer. Kuratiert wurde »Combo« von Johannes Muggenthaler, dem Präsidenten der Münchener Secession, und Caroline Sternberg, die das Archiv der Kunstakademie leitet. Allerlei beziehungsreiche Zeitgeistarchivalien hat Muggenthaler eingeschleust, und der informative Katalog ist bestens bebildert.

münchener secession

Die Skulptur »tohubassbuuh« (l) des Künstlerduos bankleer (Karin Kasböck und Christoph Maria Leitner) steht in den Antikensammlungen neben dem Bild »Alles wird gut« der Künstlergruppe King Kong Kunstkabinett (Ulrich Zierold, Wolfgang Schikora, Walter Amann) | © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Wolfram Kastl (2)

Eine Attraktion ist die Teilrekonstruktion der historischen Schau von 1904, damals nur mit deutschen Künstlern (plus Gustav Klimt). Die von der Kritik gescholtenen Maler Lovis Corinth und Max Slevogt verließen 1901 München und gingen nach Berlin, und ihre angefeindeten Werke kehrten 1904 zurück – nun auch in die aktuelle Ausstellung. Slevogts sinnliche Danae mit den herabregnenden, im Licht flirrenden Goldmünzen war 1899 in der Sezession nach einer Stunde von der Polizei abgehängt worden, 1904 fand Slevogts Rollenbild »Francesco d’ Andrade als Don Juan« mehr Anklang. Corinths viel Haut zeigendes, gestisch unkonventionelles, hellfarbiges »Salome«-Bild freilich war 1900 in München von der Jury abgelehnt, in Berlin dann gefeiert worden und fand 1904 in München wieder keine Anerkennung. An Skulpturen sind der zutiefst komische »Teufel« von Thomas Theodor Heine zu sehen, auch Kleinbronzen von Sofie Burger-Hartmann, eine der wenigen Frauen. Denn 1904 waren auch Arbeiten des Kunstgewerbes integriert. Eine spezielle Erwartung des Rezensenten wurde enttäuscht – und überrascht: Akademieprofessor Albert von Keller, Secessions-Vizepräsident und Gründungsmitglied des Künstlerbundes, war 1904 an der Inszenierung beim sensationellen Gastspiel der »Traumtänzerin« Madeleine G. im Schauspielhaus beteiligt, fotografierte die unter Hypnose Tanzende und schuf mehrere Gemälde ihrer ausdrucksstarken Mimik und Gestik. Bei der Ausstellung 1904 zeigte er zwei davon, eines wurde vom Staat angekauft und ist heute eingelagert im Depot der Neuen Pinakothek. Aber nicht dieses Bild wurde jetzt präsentiert, sondern eines aus Privatbesitz (1905 schwarz-weiß reproduziert) mit wundersamem Grün im Hintergrund, quasi Kellers eigener Theaterkulisse. ||

COMBO. MÜNCHENER SECESSION UND DEUTSCHER KÜNSTLERBUND 1904 UND HEUTE
Staatliche Antikensammlungen | Königsplatz | bis 27. April | Di bis So 10–17 Uhr, Mi bis 20 Uhr | Fei (außer Karfreitag) geöffnet | Führungen: 9. / 16. /23. April, jew. 18 Uhr | der reich bebilderte Katalog (168 Seiten) kostet 24,80 Euro

Weitere Besprechungen finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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