Der Doppelabend »Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes Blei« umkreist die aktuelle Krise des Pazifismus.
Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes Blei
Unter einem düsteren Linolschnitt-Himmel

José (Pujan Sadri) und die alte Frau Perez (Evelyne Gugolz) | © Sandra Then
Es riecht nach Sauna, sieht aus wie ein expressionistischer Film, ist aber Brecht: Luise Voigt hat für ihren München-Einstand dessen Kurzstück »Die Gewehre der Frau Carrar« wiederentdeckt, das eher unbrechtisch an realistischen Rollen klebt und im Spanischen Bürgerkrieg spielt. Francos Putschisten sind kurz davor, nach Madrid durchzubrechen und Terese Carrars Mann hat als Aufständischer sein Leben gelassen. »Ich hab schon bezahlt«, sagt sie darum und schickt ihren älteren Sohn Pablo zum Fischen, als die Regierung alle zu den Waffen ruft. Durch das Fenster der Fischerhütte im Marstall sieht man schwarze, ölige Wellen wogen. Unter einem finsteren Linolschnitt-Himmel zeigt sich Pablos Boot als schwankendes Licht – und plötzlich ist es dunkel. Der Tod hat ihn im Vorbeifahren mitgenommen. Und schließlich holt Frau Carrar mit ihrem Bruder Pedro (Oliver Stokowski) und ihrem jüngeren Sohn José (Pujan Sadri) ihre Gewehre unter den Dielen hervor.
Die Dispute und ein paar Sätze in diesem 1937 uraufgeführten Stück scheinen wie für heute geschrieben: »Nicht für uns kämpfen, heißt nicht: nicht kämpfen, sondern für die Generäle kämpfen« ist einer davon. Ein anderer: »Ich habe oft gelesen, dass die Leute, die ihre Hände in Unschuld waschen, dies in blutigen Schüsseln tun.« Das zielt direkt auf unseren fragwürdig gewordenen Pazifismus und auf die Frage, was in seinem Schatten wächst. In der Ukraine, dem Nahen Osten, aber auch im eigenen Land. Doch wie ein Abwehrzauber gegen die Aktualität liegt im Marstall dick Patina auf der Szene: Die Schauspieler*innen tragen Schwarz-Weiß am Körper und im Gesicht (Kostüme: Maria Strauch), ihre Bewegungen ruckeln wie buchstabiert und die Stimmen scheppern, als kämen sie aus einer Tonne. Es rauscht und knistert im Ohr wie im Bild, die Rs rollen wie im frühen Tonfilm. Und wenn Barbara Horvaths Carrar nach einer guten halben Stunde eines von Brechts/Eislers »Wiegenliedern für Arbeitermütter« singt (»Mein Sohn, was immer auch aus dir werde/ sie steh’n mit Knüppeln bereit schon jetzt«), könnte der Abend direkt in die »Dreigroschenoper« übergehen. Stattdessen fällt Fabian Wendlings Bretterbühne kurz darauf laut krachend in sich zusammen: sinnbildlich für den Moment, an dem die Illusion vom richtigen Leben im falschen stirbt.
Was dann beginnt, ist eine Brecht-»Fortschreibung« von Björn SC Deigner. »Würgendes Blei« wechselt Ton und Perspektive und macht einen großen zeitlichen Sprung. Ein Chor »der alles außer Teresa Carrar darstellen kann« befragt Sinn und Unsinn des Krieges aus der Rückschau heraus. Und auch formal kehrt sich alles um. Die vierte Wand geht auf, der Verfremdungseffekt wandert aus dem Bild in den lyrischen Text, das Schauspieler*innenarrangement wirkt dagegen fast zwanglos. In dessen Mitte: Barbara Horvath mit aufgelöstem Haar und abgewischter Schminke. Um sie schwirren die Fragen nach ihren Taten, ihren Albträumen, nach der ewigen Wiederkehr des Krieges wie der Idee, es müsse nur noch diese eine Schlacht geschlagen werden für eine Zukunft, »die dann ruhig sein wird«. Am Ende spricht und hustet Florian Jahr den Monolog eines Maschinengewehrs: Fast ein ehrlicher, körperlich involvierter Kriegsarbeiter im Vergleich mit unseren heutigen Hightechwaffen. Luise Voigt, deren jüngere Arbeiten in Weimar (»Der Meister und Margarita«) und Düsseldorf (»Woyzeck«) etwas zu formverliebt daherkamen, ist ein starker, eigenwilliger und intensiver Abend über die unlösbaren Widersprüche der Gegenwart gelungen. ||
DIE GEWEHRE DER FRAU CARRAR / WÜRGENDES BLEI
Marstall | 16., 26. Jan., 12., 27. Feb. | 20 Uhr (So 19 Uhr) | Tickets: 089 21851940
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