Das Botanikum muss weichen, damit Platz für einen begrünten Innenhof frei wird. Ein Beispiel mehr für die bittere Realität in einer gestressten Stadt.
Botanikum München
Grün gegen grün
1985 – wer alt genug ist, erinnert sich und hat sogleich den Wurm im Ohr – brachten Tears for Fears mit »Shout« Menschen rund um den Globus dazu, sich Wut und Liebeskummer, Ohnmacht und Aufbegehren aus dem Leib zu brüllen. Ein Großteil von »Zurück in die Zukunft« spielt 1985, eine Riesengruppe von Superstars singt »We are the World« gegen denHunger in Afrika und Michail Gorbatschow leitet das Ende des Kalten Krieges ein. München ist ein wildes Biotop der Freigeister, der Stenz schlendert durchs Lehel, das Einstein ist noch eine Kriegsruine mit dem besten Flohmarkt weit und breit, von der Schellingstraße bis nach Haidhausen duftet es nach Patschuli.
Und es ist das Jahr, in dem Heinrich Bunzel auf 20.000 Quadratmetern aus den Gewächshäusern seines Großvaters, der die Blumenund Gemüsegärtnerei 1935 gegründet hatte, 40 Künstlerateliers macht, die er zu sehr günstigen Preisen vermietet. Über die Jahre wächst hier eine Künstlerkolonie zusammen, wie es sie in München außer in der Wiedefabrik kaum mehr irgendwo gibt. Menschen aus der ganzen Stadt parken im Winter im Botanikum ihre empfindlichen Topfpflanzen, alles wächst und gedeiht unter der liebevollen Pflege der Mieter. Mediterrane Zitrus- und Olivenbäume verwandeln ein Stück Moosach in eine traumhafte Oase. Das Theater-, Palmen- und das Grashaus vermietet Bunzel an Firmen und Privatleute, die ihre Feste in einer in München einzigartig symbiotischen Umgebung zwischen Kunst und Natur feiern wollen. Die Festivitäten im zauberhaften Ambiente der alten Gewächshäuser bleiben lange im Gedächtnis. Knapp 40 Jahre später ist Schluss damit: Am 30. September dreht die Stadt dem Areal endgültig Strom und Wasser ab. Der Grund dafür ist so grotesk wie typisch für die Stadt, in der es stündlich enger wird: Die gewachsene Grünfläche wird eingestampft, damit dort ein großer begrünter Innenhof entsteht, umringt von 550 Wohnungen in fünf- bis siebenstöckigen Häusern.
Im Mai gab es ein letztes Wochenende der offenen Ateliers, bei dem Kunst und Pflanzen verkauft wurden. Wann der Abriss losgeht, ist noch nicht klar, ebenso wie der Beginn der Neubebauung. Die Übergabe soll lastenfrei, sinngemäß »besenrein«, vonstatten gehen. Die meisten Künstler haben ihre Ateliers inzwischen bereits geräumt, sind aufs Land gezogen oder in kleinere Strukturen in der Stadt, manche suchen noch, andere resignieren angesichts der Mietpreise. Die 40 Jahre lang geduldete »Schwarzbau-Siedlung« ist nicht mehr zeitgemäß, allein was Brandschutz, Dämmung und Belüftung angeht. Eine Restaurierung der zum Teil baufälligen Gewächshäuser stand aus Kostengründen nicht zur Debatte. Das Gelände unter Denkmalschutz zu stellen, war auch keine realistische Option, ebenso wenig die Vorstellung, die Wohnungen um das bestehende Botanikum herum zu bauen. Verordnetes Grün schlägt gewachsenes Grün, Pragmatismus schlägt Fantasie, und auch die öffentliche Hand hatte keine Vision für eine mögliche Rettung des Areals, das Heinrich Bunzels Kinder nicht weiter als Kunstquartier betreiben wollten. Deshalb verkaufte Bunzel, wenn auch mit großem Bedauern, die Fläche. Heinrich Bunzel macht seit 1992 selbst Kunst, und zwar solche, die man nur aus der Luft sehen kann. Seine »Artfields« liegen neben Landebahnen von Flughäfen, einige hat er mit Kollegen wie Daniel Spoerri, Hermann Nitsch und Ugo Dossi gepflanzt, geschnitten und gefärbt. Eine neue Landebahn für die Kunst? Es wäre keine Überraschung, wenn der Kunstgärtner Bunzel irgendwo ein Gelände auftäte, das genau dieser Idee entspricht.
Auf dem Areal, das die München-Bau Holding und die Terrafinanz Projekt 2 GmbH erworben haben, sollen nach einem Entwurf des Kölner Architekturbüros O&O Baukunst zusammen mit Studio Grüngrau (sic!) Landschaftsarchitektur (Düsseldorf) neben den Wohnungen auch Kindertageshäuser, eine Grundschule und ein Jugendzentrum mit Flächen für Konzerte und Veranstaltungen à la Feierwerk entstehen, für die nächsten Generationen von Münchnern und Münchnerinnen. Weil viele Pflanzen bekanntlich sehr eigensinnig sind, bleibt zu hoffen, dass sich so mancher Sproß und einige Samen der Besenreinheit zu widersetzen wissen und ihr Eigenleben im Neubaugebiet fortsetzen. Es wäre doch gelacht, wenn der Geist der Botanikums sich so leicht unterkriegen lassen würde. ||
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