Aneta Kajzer, Kallmann-Preisträgerin 2022, fasziniert in Ismaning mit »Fließende Wesen«.

Aneta Kajzer im Kallmann-Museum

Geister-Wesen

Aneta Kajzer (links) | © Henrik José

Aneta Kajzer (links) | © Henrik José

Je länger man die leuchtenden, farbintensiven Bilder der 1989 in Kattowitz geborenen, heute in Berlin lebenden Aneta Kajzer, Kallmann-Preisträgerin 2022, anschaut, desto mehr schauen sie zurück. Und selbst wenn man meint, ein fast abstraktes Bild zu betrachten, sieht man plötzlich ein Paar Augen und dann noch eines und noch eines! »Das Nest« etwa ist auf den ersten Blick ein dunkles Bild mit ein paar neonfarbenen Klecksen. Doch je länger man das Bild betrachtet, desto mehr Augen schauen aus ihm heraus.

Seit 2018 wird dieser Preis verliehen, der sich an in Deutschland lebende bildende Künstlerinnen und Künstler wendet. Er zeichnet besondere zeitgenössische künstlerische Leistungen in den Themen aus, die Schwerpunkte im Schaffen von Hans Jürgen Kallmann (1908–1991), dem Gründer des Kallmann-Museums, waren: Porträt, Tier und Landschaft. Er teilt sich auf in 1000 Euro Preisgeld und 7500 Euro für eine Einzelausstellung mit Katalog. Die bisherigen Preisträgerinnen waren 2018 Yvonne Roeb (Tier), 2019 Doris Maximiliane Würgert (Porträt) und 2021 Lena von Goedeke (Landschaft).

Knapp 400 Bewerbungen waren es diesmal, aus denen eine siebenköpfige Jury, darunter Rasmus Kleine, der Leiter des Kallmann-Museums, und Monika Bayer-Wermuth, die Kuratorin des Museums Brandhorst in München, Aneta Kajzer kürten. Es war also wieder eine Frau, aber die erste reine Malerin! 25 manchmal groß-, manchmal kleinformatige Bilder – entstanden in den letzten vier Jahren – sind bis 26. Februar in dem feinen kleinen Museum zu sehen, das im Nachbau einer Orangerie aus dem 19. Jahrhundert im Schlosspark Ismaning untergebracht ist.

»Fließende Wesen« ist das Motto der Ausstellung, und das trifft es auf den Punkt. Denn kaum etwas ist konkret greifbar in den Gemälden, die schon von der Technik her, der Arbeit mit stark verdünnten Ölfarben, die oft direkt von der Tube auf die am Boden liegende Leinwand aufgetragen werden, im Fluss sind. Stets verfließen die Konturen, und das ganz bewusst, etwa wenn Kajzer eine neue Farbe ins Bild hinein verwischt und sich Atmosphäre und Gehalt verändern, dabei eine ganz neue Spannung oder Entspannung entsteht. Mal dominiert helles Pastell, dann wieder düstere Farben. Letztere sind entschieden aufregender, weil rätselhafter und beunruhigender.

In »Nightswimming« etwa sieht man den orangefarbenen Kopf einer Frau mit geschlossenen Augen im Wasser treiben, als wäre er von der Abendsonne beschienen. Aber da ist noch ein weiteres, ganz schemenhaftes Gesicht im Hintergrund, das geisterhaft aus einem Wirbel aufscheint. Plötzlich erzählt das Bild eine Geschichte: vom Glück des nächtlichen Schwimmens und dem wohligen Schauer, der Ungewissheit, ob nicht im dunklen Wasser Gefahr lauern könnte. »Moonlight« dagegen ist ein fast ganz monochrom blaues Bild mit einer winzigen Mondsichel an der rechten Ecke des Bildes. Die beiden breiten, wie mit einem Schwamm gezogenen Schlieren vom oberen bis an den unteren Bildrand könnten vieles sein: Hände und Arme um ein Gesicht etwa, das man aber eigentlich gar nicht erkennen kann.

aneta kajzer

»Dreamland, 2020« | Öl auf Leinwand, 100 x 100 cm © die Künstlerin und Galerie Conrads Berlin

Eines der faszinierendsten Bilder ist »Das Nest«: ein großes Quadrat, aus dem fluoreszierende Augen und Haare aus einem ansonsten ganz dunkelblauen, fast schwarzen Nichts herausleuchten. Ganz ähnlich »Dreamland«, in dem man auf dunklem Grund zwei Puppen wahrnimmt, oder sieht man etwa die Andeutung von vier Gesichtern? In »Cyborg Toys« schillern irreal aus dem Dunkel Köpfe wie von Comicfiguren und »Drei Grazien« ist ein fast abstraktes Bild, in dem vor licht-rotblauem Hintergrund ein tiefdunkelgrünes »Monster« lauert. Oder sind das Haare um die winzige, zartrote Linie eines Mundes?

Nicht minder spooky gibt sich »Witching Hour«: Und wieder mischt sich in dieser nächtlichen »Hexen-Stunde« Abstraktion und Konkretion; das interessante Farbenspiel kann ganz für sich stehen und erzählt doch eine Geschichte, freilich eine, die für jeden Betrachter eine andere sein und beim mehrfachen Anschauen sich verändern kann. Auch bei »Wachstumsschub« entstand der Titel erst nach Fertigstellung des Bildes, und man darf rätseln, was die beiden Teile des Bildes, oben grün, unten zartrosa, damit zu tun haben. Ist dies etwa ein grüner, etwas in die Länge gezogener Frosch, der nach rechts schaut? Und darunter das Gesicht eines kleinen Mädchens, das wie in einer Doppelbelichtung aus dem Umriss eines Kopfes herausschießt?

Das macht den großen Reiz und die Faszination der Bilder von Agneta Kajzer aus, dass man viel aus ihnen heraus- und in sie hineinlesen, sie aber auch als fast abstrakte Bilder ansehen kann. ||

ANETA KAJZER – FLIESSENDE WESEN
Kallmann-Museum Ismaning | Schloßstr. 3b | bis 26. Februar
Di bis Sa 14.30–17 Uhr, So 13–17 Uhr | Führungen: 29. Jan., 15 Uhr

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der akutellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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