Zwei Generationen, beide Popstars, charismatische Netzwerker und Selbstvermarkter: In der Ausstellung »Andy Warhol & Keith Haring. Party of Life« stellt das Museum Brandhorst erstmals zwei prägende New Yorker Künstler der Achtziger Jahre gegenüber.
Andy Warhol & Keith Haring
Papa Pop und Graffiti-Boy
Er nannte ihn liebevoll »Papa Pop«. Als der junge Keith Haring 1978 nach New York kommt und sein Kunststudium an der progressiven School of Visual Arts beginnt, ist Andy Warhol bereits ein Star und der Junge aus der Provinz in Pennsylvania sein Fan. Silberperücke, schwarze Klamotten, weiße Sneaker: So tritt der coole Meister der Selbstinszenierung überall auf. Andy dominiert die Kunstszene im Big Apple. Um ihn herum und sein Studio, die Factory, zirkulieren viele Mythen. Man trifft ihn im Studio 54 auf Partys mit Celebrities und auf Ausstellungen überall in der Stadt.
Keith Haring, der schnell Anschluss an eine junge Szene findet, will ihn unbedingt kennenlernen. Aber er will auch selbst Karriere machen, etwas Neues ausprobieren. Hip-Hop und Graffiti sind sein Ding. Er freundet sich mit Künstlern wie Kenny Scharf und Jean-Michel Basquiat an. Er hinterlässt erste Tags und entdeckt leere Werbeflächen in der New Yorker U-Bahn als idealen Platz für seine Bilder. 1982 erhält er seine erste Einzelausstellung in der Tony Shafrazi Gallery. Da ist Keith Haring erst 24 und schon der neue Geheimtipp der Szene.
Auch Warhol wird auf ihn aufmerksam. Die schiere Kraft der Jugend zieht den gealterten Mann an, die Bilder, die die Youngsters mit Spraydose frech auf der Straße produzieren, erinnern ihn an seine eigenen Anfänge in den 60er-Jahren. Andy trifft den dreißig Jahre jüngeren Haring in der Factory und schreibt in sein Tagebuch 1982 über den »Typen, der in der ganzen Stadt diese Figuren, diese Graffitis malt«.
Andy, damals Mitte 50, hatte viel erreicht und erlitten. In den sechziger Jahren war er mit seinen Siebdrucken von Industrieprodukten und Stars berühmt geworden, 1968 überlebte er knapp die Schüsse der Aktivistin Valerie Solanas, in den Siebzigern wurde er reich, weil er sein Credo, aus Kunst Kommerz zu schaffen, radikal umsetzte: Er porträtierte praktisch jeden, der ihn dafür bezahlte und bemalte Fahrzeuge von Autofirmen. Das BMW Art Car, ein M1-Rennwagen, der 1979 tatsächlich im 24-Stunden-Rennen von Le Mans startete, steht jetzt zwischen Warhols und Keith Harings Kunst im Museum Brandhorst.
Die Münchner Schau untersucht – weltweit zum ersten Mal – das Verhältnis der beiden Popkünstler im New York der Achtziger. Die zwei Künstler, beide »social butterflies«, wie Museumsdirektor Achim Hochdörfer sie nennt, »waren viel miteinander unterwegs und im Austausch«. Und beide waren homosexuell, katholisch erzogen und kamen aus Pennsylvania ins vibrierende New York. Sie wurden Freunde, aber nie Lover. Denn während Keith Haring offen seine Liebe zu seinem schwarzen Freund auslebte, outete sich Andy Warhol nie wirklich. Was sie gemeinsam produzierten, was sie einte und was sie trennte, ist in der Ausstellung anhand von Bildern, Fotos, Dokumenten und Videos nachzuerleben. Kuratorin Franziska Linhardt hat den »Signature Style« beider in sechs Kapitel unterteilt, vom »Künstler als Marke« über »Gender & Begehren« bis »Nach der Party«, als New York mit dem grassierenden HIV-Virus die höchste Infektionsrate der Welt zu beklagen hatte.
Der Titel der Schau ist dem Motto von Keith Harings Geburtstagsfeiern entlehnt: »Party of Life« erzählt vom Lebensgefühl der 80er Jahre, von MTV, Discos, Voguing, Hip-Hop, New Wave und Graffiti, blickt aber auch in die Abgründe: Es war die Zeit der aufkommenden Aids-Epidemie mit einer panischen Angst vor dem »Schwulenkrebs«, der Kalte Krieg spitzte sich zu, als Ronald Reagan, seit 1980 der neue starke Mann im Weißen Haus, sein gigantisches Aufrüstungsprogramm startete. Die Subkultur New Yorks lehnte sich gegen die konservative Gesellschaft auf – und wurde von Aids ausgebremst.
Es brodelte gewaltig in den 80er-Jahren. Auch Keith Haring und Andy Warhol beschäftigen sich mit diesen Themen, der eine aus aktivistischer, der andere aus einer beobachtenden Perspektive. Keith Haring eröffnete 1986 in New York einen »Pop Shop«, um dort seine ikonischen cartoonartigen Motive auf Skateboards, Buttons oder T-Shirts zu verkaufen. Es war »Kunst für alle«, denn die Preise starteten ab 50 Cent. Warhol unterstützte den Freund mit selbstgestalteten T-Shirts. Die Künstler stellten sich gegenseitig Personen wie die damals noch unbekannte Sängerin Madonna oder die Performerin Grace Jones vor, mit denen beide zusammenarbeiten sollten – im Rahmen von Gemälden, Musikvideos, TV-Shows, Magazinen und Kostümen. Die gemeinsamen Werke von Warhol und Haring, die sie Madonna zur Hochzeit mit dem Schauspieler Sean Penn schenkten, gehören zu den Highlights der Ausstellung. Die Künstler hatten die Titelseiten der »New York Post« zu einem aktuellen Nacktfotoskandal Madonnas frech übermalt – als Kommentar auf die Yellow Press.
Warhol porträtierte auch Haring mit dessen langjährigem Partner Juan Dubose auf einem Siebdruck, wohl in Bewunderung für die offene Zurschaustellung des homosexuellen Paares über Rassengrenzen hinweg, die zu Beginn von Warhols Karriere als Werbegrafiker in den 50er Jahren unvorstellbar gewesen wäre.
Haring malte sein Idol nach dessen Tod 1987 nackt, muskulös, mit Frauenbrüsten, einem großen Penis und einem blutroten Apfel in der Hand. Drei Jahre nach Warhol starb auch Keith Haring an Aids. Er wurde nur 31 Jahre alt. Beide reagierten mit ihrer Kunst auch auf politische Anliegen. Doch während Haring sich als Aktivist gegen Homophobie, Aidspanik und den Hunger der Welt in Plakaten engagierte, blieb Warhol stiller Beobachter. Nur einmal signierte er ein Wahlplakat für die Grünen. Joseph Beuys, Gründungsmitglied der Umweltpartei, hatte ihn 1979 bei einer Deutschlandreise dazu überredet. ||
ANDY WARHOL & KEITH HARING. PARTY OF LIFE
Museum Brandhorst | Theresienstraße 35 a | bis 26. Januar | Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Statt Katalog gibt es ein Magazin (in Kooperation mit »ART«) für 16 Euro | Info und Veranstaltungstermine
Weitere Ausstellunsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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