Tänzerisch faszinierend, emotional eher dunkel gestimmt ist der neue Abend des Bayerischen Staatsballetts von Sharon Eyal, Gai Behar und Andrew Skeels.

Sharon Eyal / Gai Behar / Andrew Skeels

Vom Leben und vom Tod

sharon eyal

Das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts in »Chasm« von Andrew Skeels | © W. Hösl

Es ist nun keineswegs so, dass man die Ballettpremiere des Bayerischen Staatsballetts euphorisch beschwingt verließe. Diese Triple Bill, ein programmatisch durchaus flotter, wenn auch immer wieder von Verlust und Trauer durchsetzter choreografischer Dreier sehr unterschiedlicher Stücke, ist in ihren Einzelteilen zu völlig verschiedenen Zeiten entstanden. Es liegt in der Natur der Sache, dass hier drei Stücke getanzt werden, die ganz bewusst keine thematische Einheit bieten. Und dennoch: Der Abend befördert als Ganzes ein seltsam einträchtiges, eher grau melancholisches denn bunt schillerndes Stimmungsaroma.

Sharon Eyals und Gai Behars »Autodance«, der rhythmisch hämmernde Coup für 14 Tänzerinnen und Tänzer, reißt mit, wie man es von fast allen Stücken dieses Kreativduos gewohnt ist. Aber – auch dies ist nicht neu – das Stück versagt, unerbittlich vorwärtsgetrieben von den repetitiv insistierenden Beats von Ori Lichtig, seinem Publikum jedes tröstliche, positive Grundgefühl. Die Tanzenden rucken robotergleich durch einen optischen Schlitz vorwärts auf die Bühne, gleichsam eine Geburt ins Offene – und das ganz ohne den Geschmack von Befreiung. Auch bei »Autodance«, bereits vor sechs Jahren uraufgeführt durch das Göteborger Opernballett, also lang vor dem schicksalsträchtigen 7. Oktober 2023, tanzt jene subkutane Gefährdung mit, wie sie allen Stücken von Sharon Eyal/Gai Behar eigen ist.

Die Israelis also setzen den Schlusspunkt dieses Abends mit dem Bayerischen Staatsballett. Das Kreativduo Eyal/Behar gehört in München noch zum künstlerischen Erbe des russischen Ballett-Zuchtmeisters Igor Zelensky. Dessen Nachfolger Laurent Hilaire fügt mit Gefühl für die gute Mischung Bewährtes sowie auch fürs Münchner Publikum Neues zusammen: ein Stück des Spaniers Nacho Duato, den man in München dank zwar weniger, aber eindrücklicher Gastspiele kennt; und für München neu, den Kanadier Andrew Skeels, der mit »Chasm« – was mit Riss zu übersetzen ist – im Mittelteil des Dreiers mit einer sehr dezidierten, auch schroffen Bewegungssprache fasziniert.

SciFi und Comics sind nicht jedermanns Sache. Und so darf man die nach Plastik aussehenden, kriegerisch grauen Panzerkostüme, die Abdrücke athletischer Tänzerkörper, ein wenig lächerlich finden. Aber was die 20 Tänzerinnen und Tänzer da an geschmeidigen, dabei scharf konturierten Tänzen als Abgesang der Menschheit ebenso selbstverständlich wie hoch konzentriert vollführen, das gibt der spannungsgeladenen, bewusst am Pathos von Filmmusik orientierten Komposition von Antoine Seychal faszinierend mimetischen Ausdruck und atmosphärisch reichlich Suspense. »Chasm« ist die einzige Uraufführung dieses Abends. Es muss ja nicht unbedingt um den Untergang der Menschheit gehen, den Skeels um einige zigtausend Jahre in die Zukunft projiziert. Von ihm, so viel ist gewiss, sähe man gern noch mehr. An »Chasm« gemessen, funktioniert dieser Dreiteiler selbst wie eine Zeitmaschine. Er eröffnet mit einem Tanz gewordenen Oxymoron: »White Darkness«. Der Titel steht für das weiße Pulver, das den schwarzen Tod mit sich bringt. Der spanische Choreograf Nacho Duato, der viele Jahre lang die Ästhetik seiner eigenen Kompanie, aber auch des Nederlands Dans Theater mit seiner herzbewegenden, bewegten Melancholie beglückte, betrauerte in diesem Stück, das er 2001 für seine Compañia Nacional de Danca in Madrid kreierte, den Drogentod einer seiner Schwestern. Die üppig glitzernde Robe in Lila, der elegische Streicherklang (maßgeblich von Karl Jenkins), sie verstärken die beherrschenden Qualitäten von Duatos Choreografien, den melancholischen Grundton, das Herzenswehe. Gefühle altern ja nicht. Getanzt ist »White Darkness« hinreißend, allen voran von Madison Young und Jakob Feyferlik.

Am Ende noch ein kleines Postskriptum an die Dramaturgie: Die Programmhefttexte lieber n ch einmal gegenlesen. Das reduziert zumindest Rechtschreib- und Grammatikfehler und so manche Redundanz. ||

DUATO / SKEELS / EYAL
Nationaltheater | 5., 8. Juni, 10. Juli | 19.30 Uhr | 9. Mai | 18 Uhr | Tickets

Weitere Artikel zum Tanz in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


Das könnte Sie auch interessieren: