Elsa-Sophie Jach inszeniert »Die Kopenhagen-Trilogie« der Dänin Tove Ditlevsen.

Die Kopenhagen-Trilogie

Eine Schriftstellerin im Kaleidoskop

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Dreimal Tove, v.l.: , Pia Händler, Cathrin Störmer und Naffie Janha | © Birgit Hupfeld

Drei Frauen sitzen um einen Interviewtisch, vor Mikrofonen und gefüllten Aschenbechern. Unterschiedlich alt, aber identisch gekleidet in blauen Fräcken mit überlangen Schößen, wie man später sieht (Kostüme: Aino Laberenz). Die drei Gesichter auf dem Videoscreen gehören derselben Frau: der dänischen Schriftstellerin Tove Ditlevsen (1917–1976). Sie rezitieren aus deren Roman »Gesichter«. Damit ist der Ton gesetzt: Die schonungslos präzise, lakonische Beobachtung des Alltags, auch des eigenen.

Den hat Tove Ditlevsen 1967 und 1971 in drei schmalen, autofiktionalen Büchern beschrieben, die erst 2021 auf Deutsch erschienen sind. Tom Silkeberg hat »Kindheit«, »Jugend« und »Abhängigkeit« für die Bühne adaptiert, Hausregisseurin Elsa-Sophie Jach hat »Die Kopenhagen-Trilogie« im Marstall inszeniert. Die Schauspielerinnen Naffie Janha als Jugendliche, Pia Händler als Mittzwanzigerin und Cathrin Störmer als Drogenabhängige zeichnen eindrücklich den Weg aus dem Arbeiterviertel über den literarischen Ruhm in die Sucht bis zum Entzug.

Wenn sich die Leinwand hebt, steht da ein Stahlgerüst mit milchigen Wänden und engen Räumen (Bühne: Marlene Lockemann): die elterliche Wohnung, in der niemand einen Rückzugsort hat. Der gebückte Vater (Thomas Reisinger) ist arbeitslos, die kalte Mutter (Cathrin Störmer) mit allem unzufrieden, der Bruder (Max Rothbart), Lehrling in einer Autolackiererei, lungenkrank. Tove schreibt heimlich Poesie – und singt ihr »Gedicht an mein totes Kind«.

Aber »ein Mädchen kann nicht Dichter werden«, sagt sogar der literaturinteressierte Vater. Mit 14 wird sie Dienstmädchen. Der Guckkasten verbreitert sich, die Räume werden größer. Den zweiten Teil bestreitet bravourös Pia Händler: Die junge Tove zieht mit der Freundin Nina (Naffie Janha) los in die Kneipen der Boheme, kann ihr erstes Gedicht veröffentlichen, sich ein eigenes Zimmer leisten bei einer Hitler-Anhängerin (Störmer schön überspannt) sowie eine Schreibmaschine. Sie heiratet den älteren Verleger Viggo (Thomas Reisinger als fast komische Figur), hält die Ehe nicht lang aus. Der nächste Mann ist der Musiker Ebbe (den gibt stumm der Komponist Samuel Wootton, der live mit dezentem elektronischen Soundtrack begleitet). Tove kriegt eine Tochter, kurz danach treibt sie illegal ab.

Bei Kriegsende 1945 ist Tove prominent – und bald wieder schwanger: Der Arzt, der ihr bei der Abtreibung Pethidin spritzt, wird ihr dritter Mann. Von ihm bekommt sie regelmäßig die Opioid-Dosis. Max Rothbart spielt den manipulativen Psychotiker Carl mit liebevoller, gefährlicher Ruhe. Ditlevsen schildert die Sucht glasklar und unsentimental, ohne Wertung oder Schuldzuweisung. Cathrin Störmer durchlebt die Höhen und Tiefen dramatisch auf der Bühne, die sich weitet oder verengt, sie bedrängt oder Freiraum öffnet.

Am Ende finden die drei Toves wieder im Video zusammen: »Ich bin eine Figur in einem Kaleidoskop«, sagt eine, und »Morgen werde ich wieder anfangen zu schreiben.« Denn Schreiben ist ihr Leben. Der Regisseurin Elsa-Sophie Jach und ihrem großartigen Schauspielerensemble gelingt in dichten zwei Stunden eine spannende Aufführung, die hoffentlich auch zum Lesen von Ditlevsens Werk animiert. ||

DIE KOPENHAGEN-TRILOGIE
Marstall |  8., 27. Mai | 19 Uhr | Tickets: 089 21851940

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