Verwirrend und komisch: Karin Henkel inszeniert Kafkas Roman »Das Schloss«.
Das Schloss
Wer ist K. wirklich?
Das Schloss, auf das der Landvermesser K. bestellt wurde, ist kein Schloss. Sondern ein Wolkenkratzer mit angeblich 300 Stockwerken und ebenso vielen unterirdischen. Zwei Hochhäuser ragen flüchtig hingepinselt auf flatternden Rückprospekten auf, über einer schwarzen Drehbühne mit Wänden voller Aktenordner und einem Aufzug in der Mitte (Bühne: Thilo Reuther). Dort landet K. mit seinem Koffer, übermüdet nach langem Anmarsch. Zum Schlafen kommt er in den knapp zwei Stunden von Karin Henkels Inszenierung nicht.
Heuer jährt sich der Todestag Franz Kafkas zum 100. Mal, weshalb allerorten mit Theater, Lesungen und Ausstellungen seiner gedacht wird. Für das Residenztheater haben Regisseurin Karin Henkel und ihre Dramaturgin Rita Thiele das 1922 entstandene Romanfragment »Das Schloss« adaptiert, verwoben mit Motiven aus Kafkas Erzählungen, und als Verwirrspiel um Identitäten auf die Bühne gebracht.
Denn K. ist viele. Hier sind es vier: Carolin Conrad, Vincent zur Linden, Michael Goldberg und Florian von Manteuffel. Alle in gleichen weißen Anzügen (später mit gelben Diensthosen) und gelegentlich noch verdoppelt durch vier Kinder, teils mit übergroßen Maskenköpfen. Sie liefern sich einen rasanten Stafettenlauf durch die labyrinthische Bürokratie des Schlosses. K. sucht nach dem Zuständigen für seine Berufung, das scheint der hohe Beamte Klamm zu sein, unerreichbar abgeschirmt durch unendliche Verwaltungsschikanen. K. sucht seine Aufgabe, seinen Lebenssinn. Aber es gibt keinen Auftrag, obwohl ihm zwei aufdringliche Gehilfen in grellem Pink (Evelyne Gugolz, Nicola Mastroberardino) als Spitzel zugeteilt werden. K. erfährt nie etwas Genaues. Wird von einem zum anderen geschickt, immer wieder zurückverwiesen. Rennt durch Türen oder schiebt sich slapstickhaft bäuchlings durch Aktenwände, um bei einer Vierteldrehung der Bühne wieder in einem fast gleichen Raum zu stehen. Die lispelnde, mitfühlende, aktenschleppende Klamm-Geliebte Frieda (Vassilissa Reznikoff) im Oktoberfestdirndl (Kostüme: Katrin Wolfermann) ist ebenso wenig hilfreich wie ihre genauso dümmliche Doppelgängerin Pepi (Linda Blümchen).
Immer schneller jagt die Drehbühne die K.s durch fast identische Räume, wo stets dieselbe Inkompetenz herrscht. Er wird bedroht, geschlagen, verhaftet: Ein Motiv aus dem »Prozess«. Der Lift, der bei jeder Drehung eine andere Tür zeigt, führt für K. nirgendwohin. Stiege nicht mal jemand aus, könnte man ihn für einen Fahrstuhl zum Schafott halten: Heiner Müllers Fahrstuhlmonolog aus »Der Auftrag« lässt so etwas befürchten. Motive aus Kafka-Erzählungen mischen sich ein: Die Tätowierungsmaschine aus der »Strafkolonie« senkt sich als Riesenhand, greift aber nicht zu, Käfer aus der »Verwandlung« krabbeln herum, und am Ende lernt K. vom Sekretär Momus (Michael Wächter), dass es »Vor dem Gesetz« für ihn nur diese eine ewig versperrte Tür gibt.
K. will Teil des Systems werden, um sich selbst zu finden. Aber das System will ihn nicht, spuckt ihn immer nur in die nächste absurde Situation, lässt ihn verzweifeln im endlosen Kreislauf. Dazwischen singt die Musikerin Pollyester (Polina Lapkovskaja) zum E-Bass Popsongs, zu Klagegesängen verzerrt, traurig und gespenstisch. Aber Karin Henkel inszenierte Kafkas Albtraum-Logik mit Slapsticks und surrealer Komik in hohem Tempo. Man darf über K.s Identitätssuche auch einfach lachen. ||
DAS SCHLOSS
Residenztheater | 25. April | 20 Uhr | Tickets: 089 21851940
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