In ihrer neuen Produktion »Freude! Der Beethoven Blues« untersuchen Jochen Strodthoff, Angela Loewen und Michael Bischoff das Leben in einer Warteschleife als Rückblick auf die Corona-Lockdowns.

Freude! Der Beethoven Blues

»Wenn der Takt sich trifft«

freude

Wowo Habdank, Kassandra Wedel und Monika Manz (v.l.) können sich nicht sehen | © Michael Bischoff

Corona ist für viele angesichts neuer Katastrophen schon fast in Vergessenheit geraten. Und doch hat die verordnete Isolation Fragen aufgeworfen, die längst nicht alle gestellt, geschweige denn beantwortet sind. Das Warten als Zustand hat zwar ein Ende genommen, aber die Gefühle von damals wirken im Verborgenen nach.

Nach der skurrilen Mini-Webserie »Unterland – Verschwörung für Anfängerinnen«, die sie 2021 bereits gemeinsam für dasvinzenz produziert haben, nehmen der Regisseur und Autor Jochen Strodthoff, die Kostüm- und Bühnenbildnerin Angela Loewen und der Lichtkünstler Michael Bischoff in ihrer neuen Produktion, die Ende September zu Gast im MUCCA Premiere haben wird, die Lockdowns noch einmal unter die Lupe und haben dafür ein schlüssiges Spiegel-Bild gefunden: Im Mikrokosmos von Theatergarderoben warten drei Personen, die Schauspielerin Monika Manz, ihr Kollege Wowo Habdank und die gehörlose Tänzerin Kassandra Wedel, getrennt voneinander und weitgehend wortlos auf einen Auftritt, der sich aufgrund unbekannter Umstände immer wieder verschiebt. Sie hören und sehen sich nicht, aber das Publikum kann ihnen durch transparente Wände hindurch bei ihrer wachsenden Ungeduld und Verunsicherung zusehen, die mehr oder weniger beiläufig auch zu Musik werden. »Diese Alltagsgegenstände, die in einer Garderobe sind, lassen viel zu«, erklärt Loewen, »zum Beispiel hat jede*r ein Metronom, um sich noch einmal einzusingen. Und obwohl sie voneinander getrennt sind, spielen die Metronome irgendwann für einen Moment lang im gleichen Takt. Dasfinde ich schön, weil es bei uns in der Isolation ja auch so war, so ein kleiner Hinweis, dass es die anderen gibt, wenn der Takt sich trifft.«

Ein weiterer Assoziationskern der Arbeit liegt im Werk und im kämpferisch aufbrausenden Temperament des zunehmend gehörlosen Ludwig van Beethoven, die Strodthoff seit seiner Kindheit geprägt und fasziniert haben: als eine Art musikalisches Selfempowerment allen Widerständen zum Trotz, das Mut macht, sich immer wieder aufzurichten. Keinesfalls soll dabei das Stereotyp vom heroisch leidenden Genie bedient werden: »Daraus brechen wir total aus«, verspricht Strodthoff. »Es gibt nur die Wut über die Zustände und das Aufbegehren. ›Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen‹, wie Beethoven selber gesagt hat.« Seine Musik wird zwar zu hören sein, aber nicht bildungsbürgerlich Stück für Stück, sondern gebrochener. Daher auch der Untertitel »Der Beethoven Blues«, der klarmachen soll, dass es sich nicht um ein klassisches Konzert handelt, das sich an der »Ode an die Freude« berauscht. Stattdessen wachsen die Zweifel: Werden alle Menschen wirklich Brüder und Schwestern? Wie weit reicht die Welle der Solidarität? Freude mit Ausrufe- oder Fragezeichen?

Für Strodthoff steckt in der Exklamation durchaus so etwas wie ein Freudezwang: »Es wird ja jetzt so getan, als ob nichts gewesen wäre. Dabei haben viele während der Pandemie unheimlich lange einfach nur gearbeitet, durchgehalten und nicht geheult. Und jetzt, wo man merkt, meine Güte, ich bin eigentlich echt durch, muss man wieder einfach so weitermachen, als wäre alles wunderbar.« Auch für Loewen hat die Corona-Erfahrung Fragen hinterlassen, vor allem die, »wie wir von dieser Isolation wieder in die Gemeinschaft kommen können. Und das ist in keiner Weise moralisierend oder pädagogisch gemeint. Das ›Wie‹ ist völlig offen.« Als Ausgangspunkt funktioniert da die Garderobensituation perfekt, weil sie einerseits die Isolation von damals, aber auch eine Art Warteschleife vor dem Auftritt in die Gesellschaft spiegelt: »Diese Phase der Vorbereitung«, so Loewen, »nervös sein, sich konzentrieren, fokussieren und immer wieder selber strukturieren und motivieren, ohne zu wissen, was kommt – das ist ja ein spannender Zustand!« Anderen dabei zusehen und sich zum Schluss von einem unerwarteten Wir-Moment überraschen lassen, dürfte es ebenso sein. ||

FREUDE! DER BEETHOVEN BLUES
dasvinzenz im Mucca31
Schwere-Reiter-Str. 2 | 26., 28.–30. Sept. | 20 Uhr | Tickets: info@dasvinzenz.de

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