Vor hundert Jahren wurde der Münchner Künstler Günter Fruhtrunk geboren. Das Lenbachhaus widmet sich seinen frühen Jahren, die Walter Storms Galerie ehrt ihn mit einer Hommage.
Günter Fruhtrunk
Das Freisein des Sehens
In München wurde Günter Fruhtrunk geboren. Hier wurde der Vertreter einer – in München damals kaum geschätzten – konkreten Kunst 1964 vom Kunstkabinett Klihm ausgestellt, dann von Wolf Wezel und der Galerie Heseler – er lebte freilich in Paris und wurde erst 1967 als Professor an die Münchner Akademie berufen, an der er bis zu seinem Tode 1982 lehrte. 1973 widmete ihm die Städtische Galerie im Lenbachaus eine Retrospektive, und seither zählt er dort zu den Schwerpunkten des Sammlungsbestandes abstrakter Kunst nach 1945. So dass er hier immer präsent war, bis heute. Auch, weil seine Bildschöpfungen so unverwüstlich vital erscheinen, das Sehen herausfordern mit ihren rhythmischen Formenkontrasten und ihrer Licht-Dynamik. Nebenbei: Das meistverbreitete Werk des 1968 auf der documenta und der Biennale di Venezia vertretenen Künstlers ist die 1970 designte Einkaufstüte für Aldi Nord mit den blauweißen, gegeneinander verschobenen Streifenbändern, sie wurde bis 2018 genutzt. Über diesen Auftrag war Fruhtrunk nicht glücklich, er soll in seiner Akademieklasse mit den Worten »ich habe gesündigt« Buße getan haben, indem er 400 Mark in die Kaffeekasse spendete.
Diese Ausstellung nun im Lenbachhaus – nach einer weiteren Werkschau 1993 und einer Präsentation aus dem Nachlass 2002 – ist etwas Besonderes: Sie widmet sich erstmals eingehend dem Beginn seiner Werkentwicklung, lässt den Weg zur Systematik seiner Konstruktionen verfolgen. Der Titel »Die Pariser Jahre (1954–1964)« benennt Arbeitsort und Zeitraum. Aber wie kam Fruhtrunk in die Welthauptstadt der Kunst (die gerade von New York herausgefordert wurde), ins Umfeld der Nouvelle École de Paris und der abstraktkonkreten, geometrisch konstruierenden Nachkriegsavantgarde? In seiner Freiburger Zeit besuchter er, bei einem Studienaufenthalt mit Willi Baumeister, 1951 das Atelier von Leger, kam 1954 mit einem Stipendium für länger nach Paris, befreundete sich mit Hans Arp. Bleiben konnte er nur, weil er eine Stelle als Nachtwächter annahm. Doch dann startete er seine Karriere und eroberte sich das »Freisein des Sehens«. Der mit zahlreichen Dokumenten illustrierte Katalog nimmt am Beispiel Fruhtrunks ein spannendes deutschfranzösisches Kapitel Kunstgeschichte erneut in den Blick.
Von der anderen Seite des Zeitstrahls her verbindet sich die Walter Storms Galerie mit Fruhtrunk, nämlich mit zeitgenössischer Kunst. Für die »Hommage à Günther Fruhtrunk« versammelte Storms in seiner großen Ausstellungshalle in der Schellingstraße 18 Künstler, die eigens Werke dafür schufen oder mit Fruhtrunk persönlich in Berührung standen oder sich von ihm inspirieren ließen. Dass die meisten von ihnen Künstler der Galerie sind, ist kein kommerzieller Schachzug, sondern verdankt sich dem unablässigen Engagement von Walter Storms für konkrete und konzeptionelle Kunst, speziell auch für Fruhtrunk. Storms pflegt Fruhtrunks Nachlass und ist 1. Vorsitzender der Günter Fruhtrunk Gesellschaft, die das zweibändige Werkverzeichnis herausgebracht hat. Und ist Leihgeber für die aktuelle, umfassende Retrospektive in Bonn wie auch für die Ausstellung im Lenbachhaus. ||
GÜNTER FRUHTRUNK. DIE PARISER JAHRE (1954–1967)
Städtische Galerie im Lenbachhaus | Luisenstr. 33 | bis 7. April 2024 | Di–So 10–18 Uhr, Do/Fr bis 20 Uhr | Der Katalog kostet 20 Euro
HOMMAGE À GÜNTER FRUHTRUNK
Walter Storms Galerie | Schellingstr. 48 | bis 23. Dez. | Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr
Weitere Ausstellungskritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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