Der Künstlerverbund im Haus der Kunst widmet seine diesjährige Biennale »resetNOW!« Künstlerinnen, die sich mit Technik und Wissenschaft befassen.

resetNOW!

Mit weiblichem Blick

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Brigitte Kowanz: »iPhone« | 2007 | Foto: Tobias Pilz || © die jew.  Künstlerin

»resetNOW! Künstlerinnen zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst« – unter diesem Motto steht die sechste Biennale der Künstler, die der Künstlerverbund im Westflügel im Haus der Kunst ausrichtet – und die ist in diesem Jahr eine Biennale der Künstlerinnen. Zur Erinnerung: Die Biennale im Haus der Kunst löste 2013 als Ausstellungsformat des neu benannten Künstlerverbund im Haus der Kunst München e. V. die bis dahin jährlich stattfindende »Große Kunstausstellung« der drei traditionellen Münchner Kunstvereinigungen Münchner Sezession, Neue Münchner Künstlergenossenschaft und Neue Gruppe nach über 60 Jahren ab. Kritik war laut geworden, das alte Format mit Bewerbungsprinzip wurde als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Vom damaligen Direktor des Hauses der Kunst, Okwui Enwezor, kam der Vorschlag einer tiefgreifenden Konzeptänderung mit autonom von KünstlerInnen organisierten und kuratierten Ausstellungen, die alle zwei Jahre als »Biennale« stattfinden. Was von den Künstlervereinigungen als Untergang betrachtet wurde, erwies sich als Glücksfall für die Künstler und Künstlerinnen, und die Ergebnisse der vergangenen fünf Biennalen, die jeweils einem bestimmten aktuellen Thema gewidmet waren, gaben dem Paradigmenwechsel mehr als Recht.

Und warum diesmal, auf der sechten Biennale, ausschließlich Frauen? Vor dem Hintergrund einer Welt an der Schwelle zum Super-GAU, deren Hauptverursacher Männer in Gestalt von Ingenieuren, IT-lern, Politikern, Wirtschaftsbossen sind – sollen wir Frauen es jetzt richten? Ganz abgesehen davon, dass wir natürlich mit »schuld« sind, jede und jeder in unserer Hemisphäre hat es sich in unserem System bequem eingerichtet. Die Suppe müssen wir jetzt alle gemeinsam auslöffeln. Soll hier wieder versucht werden, dem althergebrachten Klischee von der wenig technikaffinen Frau entgegenzutreten, ein Bild, das man vielleicht besser überwindet, wenn man es nicht immer wieder bedient?

Die Frage geht an die beiden Kuratorinnen: Tatsächlich ist es Kristin Brunner und Regina Hellwig-Schmid ein Anliegen, Künstlerinnen ein Gewicht zu geben und zu zeigen, dass es entgegen der (immer noch) landläufigen Meinung jede Menge Frauen gibt, die in ihrer Kunst mit Technik und Wissenschaft arbeiten. Und das, so die These der beiden Kuratorinnen, anders als die Männer: bildhafter, spielerischer, visuell einnehmender, aus weiblicher Perspektive. Beispiel Alexandra Bircken: Zur künstlerischen Praxis der Münchner Kunstprofessorin gehört das Trennen und Aufschneiden von Gegenständen. Das kann schon auch mal ein Motorrad sein. Hier ist es ein mit Eiern gefüllter Einkaufswagen, dessen beide Hälften an der Wand montiert sind. Der Titel »Descartes« spielt auf »cart« = Einkaufswagen an, dessen Gitterstruktur auf den Rationalismus des französischen Philosophen. Die zweigeteilte Form mit Ei soll eine Gebärmutter assoziieren: ein vielschichtig zu lesendes Spiel mit der Verbindung von Skulptur und Sprache.

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Kelly Heaton: »Analog Electronic Crow« | 2022 | Foto: Jason Wyche

Doch auch ohne geschlechtsspezifische Kriterien zu hinterfragen, erwartet das Publikum eine spannende Ausstellung mit 27 großartigen internationalen Kunstschaffenden und ihren Arbeiten, die sich mit aktuellen Themen rund um die Ursachen und Folgen von Globalisierung, Klimawandel, Artensterben in einer hochtechnisierten kapitalistischen Welt auseinandersetzen. Und das nicht nur kritisch, sondern auch vielfach, wie sich zeigt, prozessorientiert und konstruktiv. Die Ausstellung ist eine Schau, die auf sehr unmittelbare Weise alle Sinne anregt: viel Technik – es blinkt und tönt und rappelt; neben Video, Sound und Licht kommen KI, Kybernetik, Augmented Reality zum Einsatz. Im Kontrast dazu gibt es ganz analoge, zarte und subtile Arbeiten, etwa die fragilen organischen Plastiken von Alexandra Hendrikoff: kunstvoll mit Bestandteilen von Pflanzen durchwirkte Papierobjekte. Dem Artensterben setzt sie ein »Space-Shuttle der kosmischen Katze« voller Pflanzensamen entgegen. Das Verhältnis von Pflanzen und Kultur ist auch Thema im Werk von Diana Scherer, die Wurzeln zu Stoffen verwebt und damit eine konstruktive Überlegung zur nachhaltigen Produktion von Textilien für Mode und Architektur liefert.

Einen Kontrast dazu bildet eine Reihe monumentaler maschineller Installationen, die das Verhältnis von Mensch und Technik thematisieren. So liefert die Berliner Künstlerin Catarina Szonn mit einem ausrangierten Triebwerkteil des Großraumflugzeugs McDonnell Douglas DC-10, in dessen Auge lose Videosequenzen von Natur, Mensch und Technik zu sehen sind, ein Statement zur Frage nach der Begrenztheit von Raum und Ressource.

In Anlehnung an Messgeräte für unsichtbare Spannungen tanzt das »Oszilloskop« von Franka Hörnschmeyer mit seinen sechs mehrgliedrigen Aluminiumflügeln nach den Bewegungen von Körpern im Raum. Mal ausladend in den Raum ausgreifend, mal sich selbst umarmend, folgt das massive Objekt einer Choreografie, die die Grenzen zwischen gesteuerter und intuitiver Bewegung aufzuheben scheint. Mensch und Maschine – die Übergänge werden zunehmend hybrid.

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Künstlerin Catharina Szonn: »High Noon« | 2021 | Foto: Fenja Cambeis

Menschliche Emotionen simuliert auch die Installation »L’emur« von Anne Pfeifer, bekannt als Teil des Künstlerduos Pfeifer & Kreuzer, die mit ihren kinetischen Objekten immer wieder für Sensation sorgen: Hier sind es Scheibenwischer, die in bestimmtem Rhythmus über ein Fell streichen und mit der Ambivalenz von Zärtlichkeit und mechanischer Härte, Spiel und Zerstörung spielen. Wird sich die Paläontologie mit versteinerten Fundstücken unseres elektronischen und digitalen Zeitalters auseinandersetzen müssen? Peggy Meinfelder bietet jedenfalls mit ihrer Sammlung von Geräte-Abgüssen ein ganzes Konvolut für die zukünftige Forschung.

Inzwischen unverzichtbar, das Handy: Das »iPhone« der international bekannten, letztes Jahr verstorbenen Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz wurde bereits 2017 im Österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gezeigt. Innerhalb eines Spiegel-Leuchtkastens ist eine geschwungene Leuchtröhre montiert, die an ein Kabel erinnert. Dahinter verläuft parallel ein gelbes Band, in dem ein zentrales Datum der Mediengeschichte codiert ist: Am 9.1.2007 kam das erste iPhone auf den Markt.

Eine Reihe von Arbeiten widmen sich dem Thema Mensch und Tier: Man mag Fruchtfliegen als lästige Wesen betrachten, wenn Ursula Damm aber den Gesang dieser Tierchen hör- und sichtbar macht und sogar die Stimme der BesucherInnen in die Fliegensprache übersetzt, würde man sich sogar für den Erhalt dieser Insekten einsetzen. Den Einfluss von blauem Eventlicht auf nachtaktive Insekten untersucht seit Jahren die Hamburger Künstlerin Nana Petzet im Rahmen des Projekts »Lichtfalle Hamburg«. Zusammen mit einem Biologen konnte sie die psychoaktive Wirkung des aggressiven Lichts auf die Insekten nachweisen. Und auch Kelly Heaton fordert mit ihren elektronischen Vögeln auf sehr ästhetische wie technisch raffinierte Weise den Respekt vor der Natur ein.

Schließlich kann man sich auch ganz den audivisuellen Raumerfahrungen hingeben: Tatjana Busch taucht intuitiv geformte Kunstobjekte in eine schillernde Atmosphäre von Licht und Sound, sodass ein komplexes Zusammenspiel von Reflexion, Bewegung, Farben, Formen und Ton entsteht. Und Anne Wodtckes multimediale Installation bezieht zwei zeitversetzt laufende Videoprojektionen ein, die sich zusammen mit den brodelnden Klängen zu einer fließenden, sich stetig transormierenden abstrakt-poetischen Komposition verbinden. Zeit und Raum scheinen sich nicht nur hier aufzulösen: Der Blick auf die Uhr von Alicija Kwade zeigt, dass die vermeintlichen Konstanten schon schwer aus dem Takt geraten
sind. Der kraftvolle Appell der Künstlerinnen geht an uns alle: ResetNOW! ||

RESETNOW! KÜNSTLERINNEN AN DER SCHNITTSTELLE ZWISCHEN KUNST, TECHNOLOGIE UND WISSENSCHAFT
Haus der Kunst, Westflügel | Prinzregentenstraße 1
7. August bis 21. September | Mi bis Mo 10–20, Do 10–22 Uhr
Zur Ausstellung wird ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Round-Table-Gespräch, Performances, Führungen und Künstlerinnengesprächen angeboten. Termine

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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