Der neue künstlerische Leiter Andrea Lissoni will das Haus der Kunst zu einem lebendigen und offenen Ort des Austauschs machen.

Haus der Kunst

Wege in die Zukunft

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Andrea Lissoni, 2020 | Foto: Maximilian Geuter © 2021 Haus der Kunst, München

Es ist ruhig geworden um das Haus der Kunst. Und das ist auch gut so. In den vergangenen Jahren folgte eine Hiobsbotschaft auf die andere, angefangen vom plötzlichen Rücktritt und Tod des künstlerischen Leiters Okwui Enwezor über die Scientology-Vorfälle in den Reihen des Personals bis hin zum finanziellen Fast-Ruin des Hauses. Zuletzt sorgte das geplante Outsourcing des Aufsichtspersonals für Aufregung, und über allem schwebte immer die Diskussion rund um die Umbaupläne David Chipperfields. Nun befindet sich das Haus in einer Phase der Konsolidierung und Neuaufstellung, eingeläutet durch die ordnende Hand des neuen kaufmännischen Geschäftsführers Wolfgang Orthmayr und die inhaltliche Justierung des künstlerischen Leiters Andrea Lissoni. Beide bilden seit etwas mehr als einem Jahr die Doppelspitze des Hauses.

Nachdem nun also anscheinend Ruhe in die Finanz- und Personalfragen eingekehrt und die Renovierung erst mal zurückgestellt ist, sollte der Blick wieder auf die eigentliche Bestimmung des Ausstellungshauses gerichtet werden: die Kunst. Doch dieser Blick ist uns coronabedingt leider verstellt, und Andrea Lissoni konnte noch nicht sehr in Erscheinung treten. Das bereits länger geplante Ausstellungsprogramm wurde noch von den Kurator*innen des Hauses ins Werk gesetzt – beispielsweise die großartige Ausstellung des kenianischen Künstlers Michael Armitage, die während der Phasen der Öffnungen zum Glück immer wieder zu besuchen war. Auch mit der im März eröffneten Retrospektive über Phyllida Barlow und der kommenden Gruppenausstellung »Sweat« zum Körper und zu Strategien des Widerstands setzt das Haus der Kunst ein starkes Statement – allesamt auf den ersten Blick wirkmächtige künstlerische Strategien. Ist das die Linie des neuen Direktors? Der hat erstmal »The Joys of Yiddish« (2006), Mel Bochners Schriftband mit jiddischen Begriffen, am Dachfries reinstalliert, auf Dauer Andrea Lissoni, geboren 1970 in Mailand, ist Kunsthistoriker und Kurator. Seit 2014 war er Senior Curator für Film und internationale Kunst an der Tate Modern in London, davor leitete er den renommierten Ausstellungsraum Pirelli Hangar Bicocca in Mailand. Er spricht fließend Deutsch, zu München steht er seit jeher in engem Bezug.

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Wenn man mit ihm über seine Pläne spricht, dann wird vor allem eines deutlich: Andrea Lissoni ist keiner, dem eine weitere Ausstellungs-Institution à la Hypo-Kunsthalle, Museum Brandhorst oder Lenbachhaus mit vierteljährlich wechselnden Ausstellungen vorschwebt, sondern er wünscht sich ein offenes und lebendiges Haus mit einem auf längere Sicht gedachten Programm und mit Projekten, die zeitlich ineinander verzahnt sind, mal kürzer, mal länger laufen und das ganze Haus bespielen. Projekte, die im Autausch mit den hochkarätigen Institutionen der Wissenschaft, Kultur und Forschung Münchens stehen, in die Stadt hineinwirken und ganz unterschiedliche Zielgruppen bis hin zu heranwachsenden Generationen ansprechen; keine Blockbuster-Ausstellungen, die den Künstler-Kanon der »üblichen Verdächtigen« bedienen, sondern Ausstellungen mit unbekannteren Namen, die ihrerseits die Kraft haben, durch die Neugier und Leidenschaft des Publikums zu Blockbustern zu werden. Ein Programm, das »transnationale, disziplin-übergreifende, experimentelle und visionäre Praktiken hervorhebt«, so Lissoni; ein Angebot, »das Lebendigkeit – gemeint sind Musik, Sound, Performance, Tanz – in den Mittelpunkt stellt, als ein wichtiges Instrument, um Begegnung, Partizipation zu erlauben …«

Mag sein, dass es seiner Vision an Schärfe fehlt, doch Lissoni betont, dass er die programmatische Ausrichtung seiner Vorgänger nicht mit einem weiteren Manifest fortsetzen möchte. »Mein Ziel ist es, das Erbe des Haus der Kunst als bedeutende, innovative und wegweisende Institution zu bewahren und voranzutreiben, während man es auf die nächste Stufe bringt: die Institution für zeitgenössische und zukünftige Praktiken der Kunst zu werden.«

Klingt jung, zeitgemäß und ambitioniert, doch was heißt das konkret? Abgesehen von klassischen Ausstellungsformaten wie den Retrospektiven, zum Beispiel ab Herbst über das Wirken der Schweizer Künstlerin Heidi Bucher, verspricht Andrea Lissoni eine »spektakuläre Sound- und Videoinstallation von Jacolby Satterwhite, speziell entwickelt für die Mittelhalle, eine europäische Premiere« im Rahmen der disziplinübergreifenden Gruppenschau »Sweat«, die ab Juni gezeigt wird. Ferner sind Formate wie das Sound- und Musikprogramm »Tune« geplant, sowie eine zehntägige Lifeausstellung »Hit by an Echo« mit Performances. ||

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