Philipp Moschitz inszeniert Yael Ronens böses Satiremusical »Slippery Slope« im Metropoltheater.

Slippery Slope

Wokeness? Rette sich, wer kann?

slippery slope

Philipp Moschitz, René Dumont und Stephanie Marin bei einer Showeinlage © Metropoltheater München/Marie-Laure Briane

Ein Slippery Slope bezeichnet im Englischen einen schlüpfrigen Abhang, auf dem es keinen Halt gibt. Auf dieser schiefen Bahn rutscht man unweigerlich in den Abgrund. Deshalb meint der Begriff übertragen auch einen Dammbruch wie die ersten Me-too-Anzeigen gegen Harvey Weinstein, die eine Lawine ins Rollen und den Filmmogul ins Gefängnis brachten.

Niemand im deutschen Theaterbetrieb reagiert derzeit schneller und witziger auf gesellschaftspolitische Befindlichkeiten als die israelische Autorin und Regisseurin Yael Ronen. Mit schwarzem Humor und beißender Ironie treiben ihre Stücke aktuelle Problematiken ins Extrem. In Berlin brachte sie 2021 mit Shlomi Shaban (Musik) das (Fast-)Musical »Slippery Slope« heraus, eine fulminante Rundumabrechnung mit Cancel Culture, Rassismus, Sexismus, Feminismus, Machtmissbrauch, Victim Blaming, kultureller Aneignung und was sonst noch gerade wabert.

Dieses Debattenmusical hat Philipp Moschitz im Metropoltheater inszeniert – quasi als Antwort auf die haltlosen, überwoken Antisemitismus-Vorwürfe, mit denen das Metropol Ende 2022 wegen des Stückes »Vögel« attackiert wurde. Die Inszenierung des kontroversen Toleranz- und Friedensplädoyers wurde abgesetzt, die Angriffe haben das Theater schwer gebeutelt.

Dass man alles von mindestens zwei Seiten sehen muss, zeigt sich an vier Protagonisten. Als rutschigen Abhang hat Bühnenbildner Thomas Flach vier Treppenstufen vor einem schwarzen Glitzervorhang gestaffelt, eingefasst von farbigen Bilderrahmen. Unten setzt sich müde der abgehalfterte Ethnokitsch-Sänger Gustav mit seiner Gitarre. Er sagt sein Comeback-Konzert an und erklärt, warum er keinen seiner Erfolgssongs spielen kann: Sein gesamtes Repertoire aus verschiedenen Ethnien ist als kulturelle Aneignung verfemt. Und seine junge Ex-Geliebte Sky, dank ihm nun selbst ein Superstar, bezichtigt ihn des Machtmissbrauchs und der Ausbeutung. Aber für ihn war es die große Liebe. René Dumont, viele Jahre im Ensemble der Kammerspiele und des Resi, führt ergreifend den alternden, gebrochenen Ex-Star vor. Der Mann ist erledigt.

Wer hat wen ausgenutzt? Sky (energetisch: Stephanie Marin) hat mit einem neuen Partner Karriere gemacht und 90 Millionen TikTok-Follower – bis auch sie ein Shitstorm trifft. Die kämpferische Journalistin Stanka (Ina Meling) plant eine Story darüber, doch das bügelt ihre Chefredakteurin nieder – die ist mit Gustav verheiratet. Judith Toths skrupellose Klara ist hochkontrolliert bis in die Haarspitzen, umso anrührender singt sie ihren »Queen Size Bed Blues«. Stanka reckt die Feministinnenfaust und benutzt das eitelnaive Pornosternchen Debbie, um die Produktionsbedingungen der Sexfilmfirma anzuprangern. Mit schlimmen Folgen. Philipp Moschitz hat diese bitterböse Satire nach melancholischem Beginn als temporeiche Revue mit ironisch pointierter Komik inszeniert, Katja Wachter choreografierte die gekonnten Showdance-Einlagen.

Moschitz selbst spielt prägnant sämtliche Nebenrollen in plakativ überkandidelten Kostümen von Cornelia Petz. Singen können ohnehin alle so hervorragend wie tanzen und spielen. Die englischen Songtexte sind nur wo es zum Verständnis nötig ist wie beim sprachlich raffinierten »Accusation Song«, deutsch übertitelt.

Am Ende sind alle unter die Räder von Wokeness und Political Correctness gekommen. Doch der zynische Krisenmanager, den Klara und Gustav bemühen, weiß überraschend eine pragmatische Lösung. Die kennt man irgendwie aus der Politik. ||

SLIPPERY SLOPE
Metropoltheater | Floriansmühlstr. 5 | 6., 10., 11. Aug. (wieder im Herbst) | 20 Uhr | Tickets: 089 32195533

Weitere Theaterkritiken finden Sie ab dem 5.8. in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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