Christoph Hochhäusler inszeniert in »Bis ans Ende der Nacht« ein berauschendes Genrekino.

Bis ans Ende der Nacht

Verdeckte Gefühle

bis ans ende der nacht

Schwuler Cop liebt trans* Frau: Eine Konstellation, die es so im deutschen Genrekino selten zu sehen gibt | © Grandfilm

Tatort: Frankfurt am Main. In der notorisch geschäftigen, niemals fertig gebauten Mainmetropole gediehen abseits des öden Finanzdistriktes und des architektonisch wenig gelungenen neuen »Römers« immer wieder besondere Genrekinoperlen, die gerade durch ihren melodramatisch-morbiden Inszenierungsstil eine gewaltige cineastische Sprengkraft entfalten. Rainer Werner Fassbinders ewig todtraurig schimmerndes Schlüsselwerk »In einem Jahr mit 13 Monden« (1978) mit Volker Spengler als Erwin bzw. Elvira Weisshaupt gehört selbstverständlich dazu. Genauso wie Doris Dörries zu Unrecht vergessener Neo-Noir-Thriller »Happy Birthday, Türke!« (1992) in der überragenden Bildgestaltung Helge Weindlers, für den Hans Czypionka den bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller erhielt und der jüngst digital restauriert in »Mainhattan« kurzzeitig ins Kino zurückkehrte.

Dass der gebürtige Münchner und HFF München-Absolvent Christoph Hochhäusler ebenfalls ein Faible für Frankfurt am Main hegt, hatte er bereits 2010 mit »Unter dir die Stadt« bewiesen, der zu den aufregendsten deutschen Filmen der 2010er Jahre zählt. In dieselbe Kerbe schlägt auch seine bei der Berlinale uraufgeführte Rückkehr ins Kino: »Bis ans Ende der Nacht«. Bereits der Titel dieses sperrigen Genrehybriden ist ein erstes Zitat und weckte bei Cinephilen, die kurz vor dem Beginn der Berlinale das sagenhaft gut gestaltete Filmplakat sahen, Erinnerungen an Dominik Grafs legendäre »Der Fahnder«-Episode (vierte Staffel, 16. Episode, 1992), die denselben Namen trägt.

Doch anstatt wie Graf von Geiselnehmern oder Lösegelderpressern zu erzählen, verortet der Jean-Pierre-Melville-Verehrer Hochhäusler seine Erzählstrategie (Drehbuch: Florian Plumeyer) vorwiegend im Melodramatischen. Im Zentrum seines mit Sehnsucht wie Resignation hantierenden Cop-Films stehen ein schwuler melancholischer Undercover-Ermittler (Timocin Ziegler als Robert Demant) sowie die wahlweise verlorene, wahlweise verliebte trans* Frau Leni Malinowski (eine Entdeckung: Thea Ehre), die zuletzt wegen Drogenhandels einsaß und nun im Rahmen eines Deals mit der Polizei auf ihre vorzeitige Entlassung hofft. Gemeinsam werden die beiden Partner, die pikanterweise früher ein Paar waren, auf den finanzstarken Unterweltsboss und Clubbetreiber Victor Arth (Michael Sideris) angesetzt, für den wiederum Leni vor ihrer Transition als Tontechniker gejobbt hatte. Liebe und Loyalität geraten dementsprechend rasch wie visuell überbordend (Bildgestaltung: Reinhold Vorschneider) ins Wanken, dass es eine Freude ist. Zusammen mit dem mannigfaltigen Einsatz von Schlagern aus Mündern von Zarah Leander bis Esther Ofarim und der exquisiten Montage Stefan Stabenows ist Christoph Hochhäuslers lang erwartetes Leinwandcomeback zumindest für Fans des Genrekinos speziell im Finale absolut berauschend. So gleicht »Bis ans Ende der Nacht« in der Summe einem regelrechten Kaleidoskop an visuellen Möglichkeiten, Stichwort: Dolly Shots, mit exaltiertem Gestaltungswillen, wenngleich das Feuer nicht permanent lodert: Cool blue eben. Wer giert schon nach Perfektion? Liebe ist hier schließlich kälter als der Tod. ||

BIS ANS ENDE DER NACHT
Deutschland, 2023 | Regie: Christoph Hochhäusler | mit Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob u.a. | Spielfilm | 123 Minuten | Kinostart: 22. Juni | Website

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