Wolfgang Benz legt mit »Allein gegen Hitler« ein beklemmend aktuelles Porträt des Hitler-Attentäters Georg Elser vor.

Allein gegen Hitler

Warte nicht auf bessere Zeiten

allein gegen hitler

Wolfgang Benz, emeritierter Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität in Berlin, ist bekannt für seine unverblümte Herangehensweise, hochkomplexe moralische Fragestellungen einzukreisen. Genauso nähert er sich Johann Georg Elser, dem beinahe die Auslöschung von Adolf Hitler gelungen wäre, bevor die Welt in den Zweiten Weltkrieg raste. Benz, der wie Elser von der Schwäbischen Alb kommt, montiert aus weitgehend vernachlässigten Aspekten ein akribisch recherchiertes Porträt. Benz beschreibt, wie auf der Alb schon im 18. Jahrhundert die Armen gegen den Adel aufbegehrten und wie die selbstbewussten Schwaben sich bis heute zur Wehr setzen, wenn sie sich im Recht fühlen. »Aus dem Gerechtigkeitssinn konnte Trotz werden, gelebt als Empörung und Rebellion«, schreibt Benz. Er moniert, dass der Handwerker Georg Elser in der Geschichtsschreibung stets mit dem Attribut »schwäbisch« versehen wurde, im Gegensatz zu anderen ebenfalls schwäbischen Widerstandskämpfern wie Claus Graf Stauffenberg und den Geschwistern Scholl, »als müsse ein Makel konstatiert werden, da er weder von Adel, noch aus dem Militär, nicht einmal aus dem Bildungsbürgertum stammte.

Deshalb wird er über die Region und durch die kleinen Verhältnisse, aus denen er kam, definiert und (…) auch stigmatisiert, denn das Attribut ›schwäbisch› konnotiert die Herkunft mit Charaktereigenschaften wie Einfalt, Unbildung, Provinzialität, beschränktem Horizont, Naivität.« Für den am 4. Januar 1903 Geborenen war der Erste Weltkrieg das »schlimmste aller Übel«. Aus dieser Kindheitserfahrung entsprang sein »emotionaler Pazifismus«, begründet weder durch Bildung noch politische Diskussionen in seinem Umfeld. Er war abgestoßen von Hitlers Geschrei, das bis auf die Alb schallte. Benz beschreibt Elser als ernsthaften Perfektionisten, der Flöte, Akkordeon, Zither und Kontrabass spielte, gut tanzte und bei den Damen wegen seines höflichen Charmes sehr beliebt war. 1930 kam sein unehelicher Sohn Manfred zur Welt. 1933 gewann die NSDAP in Königsbronn 40,3 Prozent der Stimmen. »Die Abneigung des Individualisten, dem die persönliche Freiheit über alles ging, gegen die vielfältigen Zwänge des nationalsozialistischen Alltags, gegen die martialischen Rituale der ›Volksgemeinschaft, gegen den Hitlergruß, den das dressierte Volk gehorsam entbot, war schon früh ausgeprägt.«

Diesen Widerwillen spürte er nicht allein. »Aber er sah früher als andere, besser Gebildete und sozial besser Situierte die Folgen nationalsozialistischer Gewaltpolitik voraus, und er zog Konsequenzen aus dem, was er mit scharfem Verstand beobachtete und unbestechlich analysierte.« Er empfand die Notwendigkeit zu handeln. Elser, weder mit Schillers »Wilhelm Tell« noch mit Kant vertraut, hatte kein intellektuelles Modell, das ihm für den Tyrannenmord hätte Vorbild sein können, dafür aber »Realitätssinn, ein intaktes ethisches Wertesystem und die feste Überzeugung, was Unrecht und deshalb nicht hinzunehmen war«, sagt Benz. »Zielstrebigkeit und moralischer Rigorismus unterschieden Elser von allen anderen Widerstandskämpfern. (…) Der frühe Versuch Georg Elsers steht für die Zivilcourage eines aus richtiger Erkenntnis handelnden Bürgers. Das späte Unternehmen Stauffenbergs und seiner Freunde markiert die Skrupel der Vertreter einer militärischen Elite, die sich berufen fühlte, ins Rad der Geschichte zu greifen, aber zu lange brauchte, um Erfolgsaussicht und moralische Berechtigung der geplanten Tat abzuwägen.« Als die Operation »Walküre« am 20. Juli 1944 scheiterte, saß Georg Elser bereits seit vier Jahren im KZ Sachsenhausen. Der Einzeltäter, ein einfacher Mann aus dem Volk, der sein Attentat minutiös und mit erheblichen Risiken vorbereitet und durchgeführt hatte, war für das NS-Regime ein nicht hinnehmbares Skandalon. Deshalb wurde jahrelang von der NS-Propaganda verbreitet, der englische Geheimdienst stünde hinter Elser als Handlanger und nur die »Vorsehung« habe Hitler gerettet.

Wolfgang Benz skizziert die Reaktionen auf das Attentat von Intellektuellen wie Thomas Mann oder Viktor Klemperer, von den Kirchen und den Medien im Ausland, beschreibt die Auswirkungen auf Familie und Bekannte und wie Elser als Sonderhäftling, dem nach dem »Endsieg« der Schauprozess gemacht werden sollte, im KZ Sachsenhausen völlig isoliert und doch in unmittelbarer Nachbarschaft von Pater Rupert Mayer, Angehörigen der rumänischen »Eisernen Garde«, dem ehemaligen Berliner Bürgermeister Fritz Elsas, Hans von Dohnanyi und vielen mehr lebte. Im Frühjahr 1945 wurde Elser ins KZ Dachau verlegt, am 9. April 1945 dort ermordet. Nach dem Krieg war das öffentliche Interesse am Bürgerbräu-Attentat gering, im Gegensatz zur vergleichsweise glamourösen Operation »Walküre« oder dem Schicksal der »Weißen Rose«. Nach seinem Tod wurden zahlreiche unsinnige Legenden über ihn kolportiert, bis hin zur Behauptung, Elser sei SS-Mann gewesen. Erst in den 1970er Jahren kam die Rehabilitierung von Georg Elser dank der Historiker Anton Hoch und Lothar Gruchmann in Gang. Durch Peter-Paul Zahls Theaterstück an der Berliner Schaubühne, einen Kinofilm von und mit Klaus Maria Brandauer und Rolf Hochuths Stück »Der Stellvertreter« rückte Elser ein wenig mehr ins allgemeine Bewusstsein. In der Münchner Türkenstraße 94 erinnert seit 1995 eine Kunstinstallation an seinen ehemaligen Wohnort, auf dem Gasteig-Gelände will eine Bodenplatte auf den Ort des Attentats aufmerksam machen, 2015 drehte Oliver Hirschbiegel einen neuen hochgelobten Elser-Film und seit 2017 bedeckt ein großes Mural eine Hauswand in der Bayerstraße 69.

Aufschlussreich ist auch das Kapitel, in dem Wolfgang Benz nachvollzieht, wie schwer es Wissenschaftlern und Journalisten bis vor etwa 25 Jahren fiel, Georg Elser als Person zu würdigen, die sich aktiv, im Alleingang, ohne Ideologie und nur dem eigenen Moralbewusstsein verpflichtet, dem Unrechtsregime entgegenstellte – und damit allen einen Spiegel vorhielt, die es nicht getan hatten. Das macht das Thema heute so aktuell. ||

WOLFGANG BENZ: ALLEIN GEGEN HITLER. LEBEN UND TAT DES JOHANN GEORG ELSER
C.H.Beck, 2023 | 224 Seiten | 27 Euro

LESUNG: SACHBUCH-SALON
Bildungszentrum | Einsteinstr. 28 | 21. Juni | 19 Uhr

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