Wie kann man den Münchner Komiker heute auf der Bühne zeigen? Claudia Bauer wagt es mit ihrer »Valentiniade« im Residenztheater.

Valentiniade

Valentins Mondfahrt

valentiniade

Die »Valentiniade« als exakt choreografiertes Singspiel (Ensemble) | © Birgit Hupfeld

Vor 50 Jahren spielte ich in den Kammerspielen bei einem »Valentin-Abend« mit. Der Regisseur aus Hannover wollte einen surrealen, unbajuwarischen Touch, was dem Hauptdarsteller Walter Sedlmayr nicht passte. Der verkündete vorher in der Kantine, er werde halt zur Premiere krank sein. Stellte sich dann aber mit einer Maß Milch an die Rampe, erklärte, dass er trotz Indisposition nur dem Publikum zuliebe auftrete – und spielte das, was er wollte. Der Platzhirsch behielt die Deutungshoheit, wie der Lokalmatador zu interpretieren sei.

Wie kann, soll, darf man also mit ihm umgehen? Karl Valentins spindeldürre Gestalt mit der überlangen Pappnase ist längst in der Ikonografie verankert, Imitation oder Nachahmung unmöglich. Man kann das nur zitieren, und das versucht Claudia Bauer in ihrer »Valentiniade. Sportliches Singspiel mit allen Mitteln« im Residenztheater. Hier steht das Vorbild als Chor gleich achtmal auf der Bühne, alle im Frack, mit unterschiedlich hohen Melonen und verlängerten Nasen (Kostüme: Patricia Talacko). Valentin war kein Humorist, sondern ein Komiker aus existenzieller psychischer Not. Diesen Grundton schlägt Bauer zu Beginn an: Heute steht ein Penny-Markt an der Stelle des früheren Kabaretts »Bunter Würfel«. Dort wurde Valentin 1948 versehentlich eine Nacht eingesperrt, wenige Tage später starb er an einer Lungenentzündung (krank war er schon vorher). Lukas Rüppel mit verzerrtem Gesicht in verzerrter Großaufnahme insistiert: »Ich existiere ja nur, um den Untergang zu vermeiden.« Lässig rauchend neigt sich freundlich der Tod zu ihm und möchte ihn mitnehmen. Wohin? »Irgendwo? Da war ich schon.« Auch ist die Miete ja bis Monatsende bezahlt. Also bis zum nächsten Mal. Ein großer Reif lässt über die schwarze Bühne von Andreas Auerbach einen rüschenverzierten, teilbeweglichen Rundvorhang fallen, der auch Projektionsfläche ist. Daneben im dreistöckigen Gerüst sitzt das fabelhafte Musikertrio: Komponist Michael Gumpinger (Piano) jazzt und swingt mit Leo Gmelch und David Paetsch im Stil der 20er Jahre – weit weg von Bayern. Gut, dass die »Orchesterprobe« des Ensembles mit Katja Jung als Kapellmeisterin, angelehnt an Valentins kongeniale Partnerin Liesl Karlstadt nicht zum Klang wird. Die »entzauberte Soubrette« darf aber doch singen.

Um das Vorbild zu meiden, flüchten Bauer und das Ensemble in extremen Manierismus, Nicola Mastroberardino nutzt manchmal eine bizarre Sprachverkünstelung im Falsett. Das ist ein grundlegendes Missverständnis der Inszenierung. Der ins Absurde geschraubte Irrwitz von Valentins Wort- und Sinnklauberei entsteht immer scheinbar beiläufig. Er ist so stark und eigenständig, dass jedes artifizielle Ausstellen und Verfremden die Wirkung schwächt. Aber es gibt auch schöne, trockenkomische Szenen: Der »Ententraum« wird zum Ballett, die groteske Mondfahrt mit dem Papppropeller samt zwölf Antriebsraketen klappt tatsächlich – und landet direkt im Schnappmaul des blinzelnden Mondgesichts, das an einen Méliès-Film erinnert. Die »Klage einer Wirtshaussemmel« machen fünf Tänzer/ Sänger so saukomisch plausibel, dass man künftig nur noch mit spitzen Fingern in den Brotkorb langt. So ist es wirklich ein exakt choreografiertes sportliches Singspiel.

Claudia Bauer stellte bei ihrer Sketch-Auswahl Valentins Phobien und Neurosen ins Zentrum, der Dramatiker Michel Decar schrieb einige Texte hinzu, die sich recht nahtlos einfügen: Eine abgebrochene S-BahnFahrt und einen Einkauf beim Dallmayr, das hätte Valentin heute auch so erleben können. Komponist Gumpinger hat immer wieder Zentralsätze zu chorischen Sprechgesängen vertont, »Fremd ist der Fremde nur in der Fremde« fehlt natürlich nicht. Und beim zweiten Besuch hat auch der Tod Erfolg. Einen neuen Blick auf Valentin findet Bauers Inszenierung nicht, aber eine ziemlich schräge Perspektive. Das macht sie dank der exzellenten Schauspieler und Musiker zur gelungenen Unterhaltung. ||

VALENTINIADE
Residenztheater | 8. Jan. | 18.30 Uhr | 21. Jan. | 20 Uhr | 17., 18. Feb. | 19.30 Uhr
Tickets: Tel. 089 21851940

Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: