Ein Mörder als Medienstar und eine Münchner Katastrophe: Zwei Podcasts nähern sich auf spannende Weise den Schatten der Vergangenheit.

Podcasts für den Sommer

Unschuldsvermutung für einen Verurteilten

Erzählungen wahrer Kriminalfälle erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit. Besonders faszinieren Geschichten von Unschuldigen, die aus tragischen Umständen viele Jahre hinter Gittern verbringen. Der Podcast »Das System Söring« über den wegen zweifachen Mordes von den Achtzigerjahren bis zu seiner Auslieferung 2019 in Virginia einsitzenden Sohn eines deutschen Diplomaten geht einen anderen Weg. Er hinterfragt die in deutschen Medien gern übernommene Geschichte vom nerdig unbedarften Söring, der von seiner manipulativen Freundin Elizabeth Haysom zu Unrecht der Tat bezichtigt worden sei.

Das von CCC Cinema und Television und argon.lab produzierte Format versucht demgegenüber, die über den Fall bekannten Tatsachen zusammenzutragen – und arbeitet heraus, was neben dem bis 1990 aufrechterhaltenen Geständnis noch alles dafür spricht, dass Söring in einem fairen Verfahren nachvollziehbar verurteilt wurde. Als Kronzeugen dienen der britische Polizist Terry Wright und die als Aussteigerin eingeführte langjährige Sympathisantin Sörings, Anabel H. Sie berichtet aus erster Hand, wie geschickt der rechtskräftig Verurteilte mit Hilfe seines Unterstützerkreises sowie zahlreicher Zeitungsartikel, Interviews und des seiner Geschichte sehr gewogenen Dokumentarfilms »Das Versprechen« seit Jahrzehnten den Eindruck vermittelt, ein Justizopfer zu sein. Als Begründung für sein damaliges Geständnis gibt Söring stets an, die Tat in der Überzeugung auf sich genommen zu haben, durch seinen Vater diplomatische Immunität zu genießen. »Das System Söring« analysiert unaufgeregt, wie Medien sich bei der Schilderung von Elizabeth Haysom frauenfeindlicher Klischees bedienen und den inzwischen gern gesehenen Plaudergast deutscher Talkformate widerspruchslos seine Behauptungen verbreiten lassen. Ebenso scheint der Mär, in den USA könne man unter keinen Umständen einen fairen Prozess bekommen, eine gewisse Bedeutung zuzukommen. Die Autoren gehen auch auf Details ein, bestreiten etwa mit Hilfe von Ermittler Wright das Auftauchen angeblich neuer DNA-Spuren, die laut Söring und seinen Freunden die Anwesenheit eines Dritten am Tatort beweisen. Das Format wirkt darin sehr konzentriert und überzeugend. Allzu plump klingt jedoch die nahegelegte küchenpsychologische Deutung, deutsche Journalisten sähen im eloquenten Landsmann Söring einen von ihnen, berichteten deshalb unkritisch.

Man könnte nun sagen: Wäre Söring in Deutschland abgeurteilt worden, wäre bei dem zur Tatzeit 18-Jährigen womöglich Jugendstrafrecht angewendet worden – er wäre nach maximal zehn Jahren frei gewesen. Wozu also die Aufregung um einen Mann, der seine Strafe abgesessen hat? Polizist Wright stößt sich daran, dass Söring, der zahlreiche Bücher verfasst hat, mit seinen Lügen auch noch Geld verdient. Ein ebenso interessanter wie komplizierter Fall, der True Crime mit Medienkritik verbindet.

 

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Währenddessen in Fürstenfeldbruck

An die Olympischen Spiele 1972 wird in diesem Jubiläumsjahr vielerorts erinnert. Es ist mehr als eine Floskel, dass die Spiele München verändert haben: Aus dem Oberwiesenfeld wurde der Olympiapark, ein Stadion mit damals hochmodernem Dach entstand. Die Stadt bekam eine U-Bahn, deren farbenfrohes Design noch heute an die Siebziger denken lässt. Seltsam beiläufig wird allerdings daran erinnert, dass die Spiele in einem historischen Desaster endeten: mit der Entführung und Ermordung von elf Angehörigen der israelischen Olympiadelegation durch palästinensische Attentäter des Kommandos »Schwarzer September«. Die geplante Befreiung der Geiseln nach Ausschaltung der Terroristen misslang infolge eines auf allen Ebenen dilettantischen Polizeieinsatzes.

Diesem nähert sich nun die Journalistin Patrizia Schlosser im Podcast »Himmelfahrtskommando« des Bayerischen Rundfunks. Ihr Vater Guido war Angehöriger jener Gruppe freiwilliger Polizisten, die in der für die nur scheinbar zur Flucht bereitgestellten Maschine am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, als Mitglieder der Crew verkleidet, die Attentäter ausschalten sollten. Schlosser war damals, wie viele seiner Kollegen, erst wenige Monate mit der Ausbildung fertig. Sie alle besaßen überhaupt nicht die Kenntnisse für einen solchen Einsatz. Das durch einen Kollegen (»das ist doch ein Himmelfahrtskommando«) angestoßene vorzeitige Verlassen der Maschine durch die Polizisten verfolgt ihn bis heute.

Patrizia Schlosser und ihr Team tragen beeindruckend viele Fakten zusammen, aus denen sich der Eindruck eines dilettantisch durchgeführten Einsatzes vermittelt: So hatte die bayerische Polizei damals noch keine Scharfschützen, griff daher auf Beamte zurück, die in einem Schützenverein waren. Die verantwortlichen Politiker duckten sich in der entscheidenden Phase weg, der Einsatz war schließlich führungslos. Und zum Schluss, als bitterer Epilog, erfährt man, wie sich die Bundesregierung später seltsam bedenkenlos auf eine Freipressung der drei überlebenden Terroristen einließ.

Eine erstaunliche Anzahl historischer O-Töne ist zu hören. Viele Zeitzeugen kommen auch mit ihren heutigen Einschätzungen zu Wort. Allen voran Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten Fechttrainers Andrei Spitzer, die seit Jahrzehnten um Aufklärung kämpft. Auch Ehud Barak äußert sich ausführlich, damals Leiter eines israelischen Spezialkommandos, dessen Hilfsangebot die Bundesregierung nie erhalten haben will. Guido Schlosser ist mit seiner einnehmenden, bisweilen kauzigen Art der perfekte Protagonist. Ob er und seine Kollegen wirklich nur die Bauernopfer waren, als die sie hier gezeichnet werden, können die Zuhörer selbst entscheiden. Der Podcast seiner Tochter, mit der er auch nach Israel reist, folgt einem klaren Spannungsbogen. Ihre persönliche Herangehensweise drängt sich geradezu auf, und es wäre abwegig, diese Beziehung nicht zu thematisieren. Auch den für herkömmliche Radioreportagen saloppen Ton kennt man aus anderen Podcasts. Doch es wäre nicht verkehrt, wenn die Autorin ein bisschen seltener Ich sagen würde – und Guido Schlosser nicht ständig als »mein Vater« erwähnte, so als sei diese Geschichte bloß biografisch relevant. Auch wäre so mancher Gesprächsfetzen zwischen Tochter und Vater für die Zuhörer entbehrlich. Dem Anspruch, die Geschichte aus möglichst vielen Blickwinkeln zu erzählen, wird Schlosser absolut gerecht. Zeitgenossen ebenso wie Nachgeborene der Münchner Spiele können sich hier ein umfassendes Bild über diese Katastrophe machen. ||

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