Das Südtirol Jazzfestival Alto Adige wird 40. Und mit ihm ein wegweisendes, dezentrales Konzept.

Südtirol Jazzfestival Alto Adige 2022

Neu wie immer

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Reinier Baas | © Krijn van Noordwijk

Auf große Namen hat das Südtirol Jazzfestival schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesetzt. Ab 2012 bestimmten wechselnde Länderschwerpunkte das Programm, und selbst Insider kannten nur noch wenige der gebuchten Musiker. Klaus Widmann, im Hauptberuf Arzt und seit 2004 für das dezentrale, die möglichst die ganze Region Südtirol beteiligende Konzept verantwortlich, konnte nicht wie Kollegen ständig bei anderen Festivals als Scout unterwegs sein. Er hatte die junge Avantgarde bei aufwendigen Recherchen meist im Internet entdeckt: »Wenn man so um die 30 innovative Bands aus Spanien oder Benelux einladen will, dann muss man bei der Suche schon in die Tiefe gehen.« Und macht dabei immer wieder Entdeckungen, auf die andere Programmmacher nicht stoßen, wenn man hartnäckig genug bleibt.

Beim 40-jährigen Jubiläum haben es besagte Insider nun leichter einzuschätzen, was die Besucher in Bozen und an zahllosen oft ungewöhnlichen Orten von der Seilbahn Bergstation über die bekannte Brennerei Roner bis zur hoch gelegenen Alm erwartet. Zehn Schwerpunktjahre des Kreuz-und Quers durch Europas Jazzszenen von Frankreich bis Skandinavien feiert man 2022 mit einem Rückblick auf die Höhepunkte. Widmann hat dafür bewährte Protagonisten erneut eingeladen. Vor allem die Eröffnungsabende der neuntägigen Festivals waren schon immer Experimente in Sachen kunterbunter Zusammenstellung. Diesmal also zumindest mit für Stammgäste des Festivals vertrauten Namen. Völlig neue Musiker kommen auch reichlich ins Spiel, weil der Festivalmacher alle Teilnehmer des großen Openings gebeten hat, jeweils einen spannenden Vertreter der »Next Generation« vorzuschlagen.

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Leila Martial, …

So bringt der niederländische Gitarrist Reinier Baas (2017 vermutlich Rekordpräsenz mit zehn unterschiedlich besetzten Auftritten) seine Schülerin Ella Zirina mit, die mit Songs von Gershwin oder Radiohead aus dem avantgardefreudigen Rahmen fällt. Baas selbst sucht das Abenteuer unter anderem als Gast der wüsten Jazzrockband The Killing Popes. Soweto Kinch aus London (England-Schwerpunkt 2015) spielt Saxofon als Förderer der derzeit schwer angesagten Schlagzeugerin Jas Kayser und tut sich in Meran mit dem Sänger Andreas Schaerer und dem Gitarristen Kalle Kalima zusammen. Die Französin Laila Martial singt ebenfalls mit Schaerer, hat darüber hinaus ihre eigene Formation Baa Box dabei und für Entdeckungshungrige die Rock, Jazz und Arabisches kombinierende Band Sarab.

Der als »Drumming Cellist« bekannte Slowene Kristijan Krajncanein spielt auch volksmusikalisch Beeinflusstes mit seinem »Patenkind«, der jungen Sängerin Ana Cop. Er setzt zudem auf zeitgenössischen Tanz und begegnet nicht nur beim Eröffnungsabend dem Tenorsaxofonisten Dan Kinzelman (mit Hobby Horse in der Stadtbibliothek Brixen, als Mitstreiter der fusionerfahrenen Schlagzeugerin Evita Polidoro). Auch die in London lebende, mittlerweile (in Bozen mit zwei Kolleginnen als Trio »Skylla«) singende E-Bassistin Ruth Goller ist wieder dabei, »unser Aushängeschild als Südtirolerin«.

Südtirol Jazzfestival

… Soweto Kinch | © Jazzfestival Südtirol Alto Adige (2)

Eine wilde Mischung also, typisch nicht nur für die Eröffnungsprojekte der Festivalrunden, bei denen es wegen der gewagt gewollten Zusammenstellungen »auf Perfektion nicht ankommt«. Ein Mainstream-Parcour sind aber auch die meisten der restlichen 58 Konzerte an 30 Spielorten in ganz Südtirol nicht. Denn Klaus Widmann programmiert für Aufgeschlossene: »Wir wollen nicht jeden überzeugen. Es geht um Herausforderung, nicht ums Wohlgefühl. Für unseren Jazz hat man am besten einen eigenen Chip im Kopf.« Festivalfans würden diese Aussage deutlich modifizieren. Denn wer offen für Neues ist, wird sich bei der 40. Runde durchaus wohlfühlen. ||

SÜDTIROL JAZZFESTIVAL ALTO ADIGE 2022
Bozen u.a. | 24. Juni – 3. Juli | Tickets: +39 0471 982324

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