Das Gärtnerplatztheater glänzt mit einer neuen »Fledermaus«.
Die Fledermaus
Unmaskiert, beschwipst
Rosalinde von Eisenstein hat sowieso schon einen Liebhaber, Gabriel, ihr Gatte, hat ein Faible für Ballettratten, aber eigentlich muss er in den Knast. Das Dienstmädchen will ans Theater. Und alle müssen sich verkleiden, damit sie die große Party nicht verpassen. Die Handlung von Johann Strauss’ »Die Fledermaus« ist irrwitziger Inbegriff und gleichzeitig das Genre reflektierendes Meisterstück der Gattung Operette. Die Musik ist es auch. Der neue Theaterfrühling – wieder voll besetzt, ohne Zugangsbeschränkung und Maskenpflicht – beginnt daher am Gärtnerplatztheater mit Operettenlust und Weltflucht.
Doch tauchen in dieser Neuauflage der »Fledermaus« auch immer wieder Kipppunkte auf, die in die heutige Realität einschlagen. Zur Ouvertüre, die Anthony Bramall noch ganz klar, vielleicht etwas zu klar, dirigiert – die Fermaten fallen noch nicht so tief wie später, die Walzertakte lallen noch nicht so stark wie nach der Partynacht – gibt es einen Vorspann wie in einem Stummfilm. Gärtnerplatzintendant Josef E. Köpplinger hat in seiner Neuinszenierung die Handlung in die 1920er Jahre verlegt, die Parallelen dieses Jahrzehnts zum Heute werden gerade oft bemüht. Doch das Bühnenbild ist perspektivisch verschoben. Irgendwie stimmt hier etwas nicht, aber wir feiern es trotzdem. Und dann geht das Geplänkel auch schon los. Maximilian Mayer gibt einen adrett-hibbeligen Eisenstein, Andreja Zidaric das berechnend theatralische Stubenmädchen Adele. Und eine großartige Jennifer O’Loughlin singt voll durchdringender Stimmkraft die Rosalinde als Königin aller Grandezza. Die neue Textfassung von Köpplinger ist witzig, rasant und kalauert nur manchmal.
Doch Köpplinger gehört auch zu den Theatermenschen, die sehr stark an die direkte politische und gesellschaftliche Kraft ihres Mediums glauben. So lässt er bei der Party von Prinz Orlofsky schwören »die Maskenfreiheit zu wahren«, noch einmal heißt es, diesmal von Eisenstein: »Lass die Maske endlich fallen«. Während später der Frosch (mit großartig klassischem Theaterslapstick von Robert Meyer) beamtenstaatstreu auf »mindestens eineinhalb Meter Distanz« besteht. Auch abseits von Köpplingers persönlicher Abrechnung mit den Coronamaßnahmen, schafft erMomente, die über die Operettenluftigkeit hinausgehen.
Besonders auffällig ist dabei die Hosenrolle des Prinzen Orlofsky. Denn hier ist keiner mehr verkleidet. Vielmehr erinnert das selbstverständlich Androgyne der Figur an die Sorokina aus »Babylon Berlin«. AnnaKatharina Tonauer gibt sie hier kühl, selbstbewusst queer und schrecklich von der Welt gelangweilt. Mit Exzesslust, Trinklaune und sowieso nicht an morgen denken, denn wer weiß, was der Morgen bringen wird, passt die »Fledermaus« jetzt genau richtig auf die Bühne, obwohl weder Fasching noch Silvester ist. Die gegenwärtige Wirklichkeit hat sich nach zwei Jahren Corona und dem Angriff Russlands auf die Ukraine verändert. Die Realität ist monströser geworden. Kunst kann da spürbar eine Gegenwelt schaffen, wenigstens einen Abend lang und gerade im leichten Fach. Eine Gratwanderung, so lustig, so düster, so faszinierend, oder um im Duktus der »Fledermaus« zu bleiben: »Trinken macht die Augen hell.« Prost. ||
DIE FLEDERMAUS
Gärtnerplatztheater | 10., 13., 15. Juni
19.30 Uhr | Tickets: 089 21851960
Weitere Musiktheaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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