Lydia Steier inszeniert »Der Drang« von Franz Xaver Kroetz im Marstall als rasante Sexfantasie.

»Der Drang« am Residenztheater

Grell, grotesk, grausam

der drang

Der liebe Fritz (Vincent Glander) und Mitzi (Liliane Amuat) | © Birgit Hupfeld

»Hint eini« möchte der Otto endlich mal wieder bei seiner Frau Hilde, aber die lässt sich höchstens auf »vorn« ein, außerdem ist sie müde und morgen ein harter Tag in der Familiengärtnerei. Dann steht Hildes Bruder Fritz in der Tür, der wegen Exhibitionismus im Gefängnis saß. Die Fantasien von Otto, Hilde sowie der Angestellten Mitzi über Fritz setzen ein wildes Dreier-Karussell in Gang. 1971 schrieb Franz Xaver Kroetz sein Volksstück »Lieber Fritz«, 1975 inszenierte er es mit Ruth Drexel und Hans Brenner. 20 Jahre später schrieb er es um, unter dem Titel »Der Drang« wurde es 1994 in den Kammerspielen uraufgeführt, wieder in der Regie des Autors mit Edgar Selge, Franziska Walser, Sibylle Canonica und Horst Kotterba. Jetzt unternimmt die US-amerikanische Opernregisseurin Lydia Steier, Opernchefin in Luzern, damit ihren ersten Ausflug ins Schauspiel. Sie entfesselt im Marstall einen grausam-grandiosen Grand-Guignol, der keine Peinlichkeit scheut und mit Schlagern der 60er-Jahre (Conny und Peter singen »Lady Sunshine und Mister Moon«) die Spießigkeit der Entstehungszeit des Textes beschwört. Nach der pandemiebedingt um zwei Jahre verzögerten Premiere zeigte sich Autor Kroetz beim Applaus bestens gelaunt.

Blake Palmer (Bühne und Kostüme) baute ein Karussell als Wohnung, segmentiert in Schlafzimmer, Essküche, Fritzens Kämmerchen und Mitzis Wohnzimmer. Daneben ein Gewächshaus und ein Arbeitstisch. Christoph Franken als Stammtisch-Großsprecher Otto steckt in einem monströsen Fatsuit mit solariumsoranger Trump-Haut. Gattin Hilde (Nicola Kirsch) cremt ihre Cellulite-Oberschenkel. Mitarbeiterin Mitzi (Liliane Amuat) ist aufgebrezelt wie ein Hollywoodstar. Sie tragen helle Schminke um die Augen, nur der schmale, knastblasse Fritz (Vincent Glander) blickt dunkel drein.

Er hat dank Medikamenten seinen Drang unter Kontrolle. Wenn nötig, stopft er sich Kuschelbären in die Unterhose. Bei den anderen explodieren die verdrängten Begierden: Macho Otto verlangt einen Schwanzvergleich (ein hochkomisches Schattenspiel). Die sexuell ausgehungerte Mitzi träumt sich Fritz vergeblich zurecht als aufregenden Sadisten und überlässt sich dann willig Ottos Anal-Gelüsten – zu triumphierender Barockmusik. Beide vögeln sich so rasant durch das Wohnkarussell, dass alle Wände brechen – ein artistischer Akt. Hilde schlägt kurzerhand die von Liebe schwärmende Rivalin k. o. und stopft sie in einen Sarg. Regisseurin Lydia Steier lässt an greller Drastik nichts zu wünschen übrig, samt baumelnder Gemächte und wegweisendem Herzchen am Hintern Hildes, die den Sex neu entdeckt.

Die vier Schauspieler machen das großartig in Kunstbairisch, sowohl die groteske Überspitzung, den schrillen Klamauk wie die unerfüllten Schreie nach Liebe. Am Ende ist Fritz weg und alles wieder in Ordnung. Gemeinsam singt man Paul Abrahams Operettensong »Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände, good night, good night, good night«. ||

DER DRANG
Marstall | 28. April, 2., 17., 23. Mai
20 Uhr | Tickets: 089 21851940

Weitere Theaterkritiken gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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