Im Residenztheater beerdigt Evgeny Titov Eugene O’Neills selten gespieltes »Gier unter Ulmen«.

»Gier unter Ulmen« im Residenztheater

Niedere Instinkte

gier unter palmen

Der alte Cabot (Oliver Stokowski) im Clinch mit Abbie (Pia Händler) | © Birgit Hupfeld

Das Schaf, das Eben auf die Bühne schmeißt, sieht aus wie gerade gestorben: original groß, original schmutzigweiß-wollig. Sogar sein Blut scheint noch frisch, als Peter es sich von seinen Händen leckt. Er und sein Bruder Simeon beackern die Farm ihres Vaters, fühlen sich als Sklaven und hegen Besitzansprüche. Niklas Mitteregger mit fettigem Blondhaar und der durch falsche Zähne lispelnde Simon Zagermann arbeiten sich als grenzdebiles Duo durch neidzerfressene Sätze und lungern dabei zwischen den zerklüfteten grauen Felsen herum, die Duri Bischoff auf der Bühne des Residenztheaters fallen gelassen hat. An drei Seiten sind sie von ebenso ungastlichen Ruinenmauern umstellt; und wenn in den Blacks zwischen den Szenen die Musik laut wird, hört die sich an, als würde von außen jemand an diese bröckelige, aber hermetische Familienfestung klopfen. Nach kaum drei Minuten ist klar: Außen ist wie innen! Diese von Missgunst und Gier getriebenen Ichlinge werden partout nichts zum Wachsen und Blühen bringen: kein Getreide, keine Empathie und kein neues Leben. Was also erzählt uns der fast zweistündige Rest des Abends?

Die Antwort ist kurz: nicht viel. Am Ende liegen statt eines toten Schafes drei auf der Bühne – und auch die einzige Frau im Stück hat mal da gelegen: Wie ein Flitzebogen rücklings zwischen die Steine gespannt. Weißes junges Fleisch, in das der Patriarch Ephraim Cabot seinen Samen pflanzen will. Und weil auch dessen dritte Ehefrau Abbie habgierig ist, lässt sie sich vom Sohn der zweiten, dem jungen hübschen Eben (gespielt vom jungen hübschen Noah Saavedra), schwängern und vereinbart mit dem Alten einen Deal, der ihr den Hof zusichert, sollte sie ein Kind gebären. Damit gingen die abrupt zum Goldschürfen gen Westen abgezogenen Brüder, aber auch Eben leer aus.

Das 1924 unter dem Titel »Desire Under the Elms« uraufgeführte Stück des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers Eugene O’Neill spielt um 1850 in der idyllischen Landschaft Neuenglands, ist zutiefst moralisch und auch psychologisch so plakativ, dass es nach der Schere ruft. Doch wie scherenschnittartig ist erst Evgeny Titovs Regie! Die ganze Bühne und das altbacken eindeutige Gespiele darauf sind geronnen zum Mahnmal für eine Welt, die den Besitz über alles stellt. Komplett um das Verlangen und die Sehnsucht gebracht, die in »Desire« auch drinstecken, bleiben Titovs Figuren nur die niederen Instinkte übrig. Und Pathos gibt’s obendrauf: Ebens tote Mutter, der die Farm gehörte, geistert hier als Untote durch die Szenen, singt die letzte Arie der Dido aus Purcells Oper »Dido und Aeneas« und hinterlässt ihrem Sohn ein gewichtiges »Remember me«. Ausgerechnet in dem Moment, als der sich mit Abbie paart.

Der 1980 in Kasachstan geborene Regisseur hat das selten gespielte Stück beerdigt, indem er erst gar nicht versucht, sich an O’Neills Archetypen zu reiben, sondern sie ungebrochen auf die Bühne hievt, allen voran Oliver Stokowski als Patriarch: ein knarziges altes Ekel, das nur noch lebt, um niemandem etwas hinterlassen zu müssen, Trost nur bei seinen Kühen findet (wie immer das zu verstehen ist) und unaufhörlich den Gegensatz von »hart« und »weich« wiederkäut. Hart ist er selbst, die härteste Währung der Besitz von Land – und weich ist alles andere. Schließlich erschlägt Abbie mit dem harten Stein den weichen Körper ihres Neugeborenen, um Eben zu zeigen, dass ihr Verrat sie reut. Tapfer bäumt sich Pia Händler gegen diese archaische Theaterkraftmeierei und schmuggelt ein wenig Lebensgier ins Dunkle hinein, ohne die selbst der Schmerz lau bleibt. ||

GIER UNTER ULMEN
Residenztheater | 19. April, 2. Mai | 20 Uhr | 30. April, 17. Mai | 19.30 Uhr | 28. Mai | 19 Uhr | Tickets: 089 21851940

Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: