Am 30. Dezember letzten Jahres ging die bekannte und beliebte Filmkritikerin Ponkie von uns. Gabriella Lorenz erinnert sich an eine große Frau der Münchner Journalismus-Landschaft.

Ponkie: Eine Erinnerung von Gabriella Lorenz

Klarer Blick durch die getönte Brille

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Ponkie mit Katze | © Helena Gaitanu

Sie war längst eine Institution, als ich 1980 meine erste Theaterkritik für die AZ schrieb. Vorher hatte ich als Studentin ihre Film- und Fernsehkritiken mit staunender Hochachtung gelesen, sie waren Wegweiser durch das Kinoangebot. Jetzt war ich auf einmal ihre AZ-Kollegin, wenn auch nur als freie Schreiberin. Ich arbeitete zu Hause, Ponkie als gut dotierte (und lebenslang freie) Pauschalistin ebenfalls im Homeoffice, das sie mit ihrer Familie und ihren Katzen teilte. Zu Gesicht bekommen habe ich sie höchstens bei Redaktionsfesten. Eines Tages Ende der 1980er wurde ich gefragt, ob ich Ponkie über Ostern vertreten könnte: Fernsehkritik über das Programm von Karfreitag bis Ostersonntag. Acht oder neun verschiedenste Sendungen, aber bitte alles zusammen auf dem Platz einer normalen Ponkie-Kritik. Also Kürzestform, vier, fünf, höchstens zehn Zeilen pro Sendung. Ich war geschmeichelt, hatte aber Riesenschiss vor dem Vergleich mit dem großen Vorbild. Das Wochenende hat mein italienischer Lebensgefährte, aus Venedig zu Besuch und des Deutschen nur begrenzt mächtig, tapfer mit mir vor dem Bildschirm abgesessen, ebenso wie meine Quälerei an der Schreibmaschine. Aber das Lob, das ich danach von Ponkie erhielt, war ein Ritterschlag!

1990 wurde ich feste Theaterredakteurin im Feuilleton. Und betreute, wenn ich Produktionsdienst hatte, Ponkies tägliche TV-Kritiken. Die Faxe kamen pünktlich gegen Mittag, das Lesen war ein Vergnügen, zu redigieren gab es nichts. Eine deutliche Meinung, präzise und prägnant auf den Punkt gebracht. Pointiert formuliert, mit überraschenden Wort-Verdichtungen. Man wusste sofort, ob man im Fernsehen was verpasst hatte oder nicht. Später widmete sie sich zunehmend auch den Talkshows – sie las daraus klug und kritisch den Zeitgeist ab. Selbst die Umstellung auf Computer und Mail-übermittlung hat sie mit tatkräftiger Unterstützung ihres Sohnes bewältigt. Die Gläser ihrer getönten Brille, die ihr Markenzeichen war, hatten sich ohnehin schon dem Format eines TV-Schirms angenähert.

Ponkie war das kulturpolitische Aushängeschild der AZ. Es war zum Teil ihr Verdienst, dass die AZ als einzige Boulevardzeitung in der BRD wegen ihres linksliberalen Feuilletons auch überregional gelesen wurde. Den Spitznamen Ponkie aus Studienzeiten (Germanistik und Zeitungswissenschaft) behielt sie als Künstlernamen und wollte auch so angesprochen werden. Ihren bürgerlichen Namen Ilse Kümpfel-Schliekmann kannte ich lange nicht, ihn weiterzugeben, war streng tabu. Angefangen als Filmkritikerin hatte sie 1956 bei der AZ und erwarb sich dank ihrer treffsicheren Urteile schnell großes Renommée und Respekt in der Branche. 1963 schrieb sie das erste Mal über Fernsehen: Der Feuilletonchef hatte verstanden, dass man das neue Medium auch medial reflektieren musste. Ihre Kolumne »Ponkie sieht fern« wurde tägliche Pflichtlektüre. Und für sie zur täglichen Disziplin, sie gönnte sich nur einen fernsehfreien Abend in der Woche. Zudem blieb sie die Spezialistin für heikle Kinofilme wie etwa Mel Gibsons »Passion Christi«, die besonderes ethisches Fingerspitzengefühl verlangten.

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Ponkie in jungen Jahren | © privat

Wenn sich unsere berühmte Kollegin zu einem Redaktionsbesuch ankündigte, wurde Tee gekocht, der Konferenztisch freigeräumt, Kuchen und ein Blumenstrauß gekauft. Dann kam sie, rothaarig, knapp 1,60 klein, herzlich, liebenswürdig, unkompliziert, dabei damenhaft. Trotz manchmal drastischer Wortwahl immer sachlich, wenn es z.B. bei den Diskussionen über die Sterne des Jahres verschiedene Vorschläge gab. Letztlich wurde stets ihre Wahl akzeptiert, weil ihre Kompetenz den Ausschlag gab. Diese Kompetenz speiste sich nicht nur aus großer Kenntnis, sondern vor allem aus dem genauen Beobachten künstlerischer Entwicklungen, einer wachen Neugier und Offenheit ohne Vorurteile gegenüber den Genres. Sie benannte erbarmungslos »Unterhaltungsschrott« als solchen, erkannte und schätzte aber früh das subversive Anarcho-Potenzial von Hape Kerkeling und Thomas Gottschalk, ebenso wie das der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder und Herbert Achternbusch. Nur die privaten TV-Sender ließ sie meist links liegen – die steckten damals noch zu tief in der Schmuddelecke. Und obwohl sie gut befreundet war mit dem Schauspieler Helmut Fischer (den sie vor seiner Filmkarriere als reien Filmkritiker an die AZ geholt hatte) oder dem Regisseur Helmut Dietl (der sie in »Rossini« als Journalistin Charlotte Sanders verewigte), blieb sie immer unparteiisch und unbestechlich. Klüngeleien oder Gefälligkeitskritiken gab es nicht bei ihr. Produzent Bernd Eichinger bekannte, der schlimmste Moment seiner Karriere sei gewesen, als er Ponkies Verriss über seinen Film »Last Exit to Brooklyn« las.

Übrigens beherrschte sie auch hinreißend die schwierige Kunst der Glosse. Eine Zeit lang schrieb sie in der AZ wöchentlich eine zum Kringeln witzige Glosse über ihre Katzen, die selbstverständlich die Herrinnen in ihrem Haus in Solln waren. Die Liebe zu den Samtpfoten teilte sie mit Ex-OB Christian Ude, mit dem sie eng befreundet war. Ihre politische, linksliberale Haltung hat Ponkie stets offen zum Ausdruck gebracht. Sie konnte weder Altnazis noch einen gewissen FJS und seine CSU ausstehen, engagierte sich für Feminismus (sie zog drei Kinder alleine groß) und den Aufbruch der Jungen. Ihr Mut und ihre Aufrichtigkeit brachten ihr viele Preise ein, darunter den renommierten Adolf-Grimme-Preis und den Wilhelm-Hoegner-Preis für »Verdienste um die Freiheitsrechte«. Sie war eine moralische Instanz, hinter der deutlich geäußerten Meinung stand eine klare Haltung. Die sie mit Humor, Stil und geschliffener Sprachkunst formulierte. Tiefe Humanität, Wissen, Klugheit, Haltung – das machte sie zur legendären Grande Dame, der Letzten ihrer Art. Denn als sie altersbedingt nicht mehr arbeiten wollte, führte die AZ die tägliche TV-Kritik noch mit zwei Nachfolgern eine Weile weiter, dann wurde sie irgendwann eingestellt. Am 30. Dezember 2021 ist Ponkie mit 95 Jahren zu Hause gestorben. Sie sei friedlich eingeschlafen, teilte ihr Sohn mit. ||

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