Falk Richter schreibt Thomas Bernhards Stück »Heldenplatz« weiter in die Gegenwart.
Thomas Bernhard: Heldenplatz
Die Nazis waren immer da
So darf man sich die Hölle vorstellen: ein feuerrot erleuchteter Raum, eingegrenzt von feuerroten Lackvorhängen. Darin ein schwarzer Aschehaufen um ein Grabloch, viele Paare schwarzer Schuhe: Die Bühne von Wolfgang Menardi drängt eindeutige Assoziationen auf. Mittendrin das Fenster eines großbürgerlichen Wohnhauses. Aus dem hat sich tags zuvor Professor Schuster gestürzt, auf den Wiener Heldenplatz. Dort jubelten tausende Wiener Hitler zu, als er 1938 den »Anschluss« Österreichs an das »Reich« verkündete. Der jüdische Wissenschaftler war damals mit seiner Frau emigriert und später zurückgekehrt. Doch seiner Frau gellte ständig das Gebrüll von 1938 in den Ohren. Und noch einmal zu emigrieren, von Hitler verjagt zu werden, konnte der alte Professor nicht ertragen.
Das ist die Ausgangslage im Stück »Heldenplatz«, das der notorische Nestbeschmutzer Thomas Bernhard 1988 für den Intendanten Claus Peymann schrieb, zum 100. Geburtstag des Wiener Burgtheaters und 50. Jahrestag des Anschlusses. Bernhard sagte es laut: Die Nazis waren nie weg, sie waren immer da. Die Uraufführung wurde naturgemäß zum Skandal. Ein Rädelsführer der Protestrufer war Heinz-Christian Strache, der als FPÖ-Vorsitzender und Vizekanzler 2019 locker die halbe Staatswirtschaft an eine angebliche russische Oligarchennichte verkauft hätte. Das wäre Stoff für Thomas Bernhard gewesen!
Schon Qualtingers »Herr Karl« hatte 1962 exemplarisch vorgeführt, wie sich die Österreicher gern zu gezwungenen Naziopfern stilisierten. Heute sitzen die Nazinachfolger im Parlament und in Regierungen, in Österreich und Deutschland. Weil sie überall immer stärker werden, inszenierte Falk Richter nun »Heldenplatz« in den Kammerspielen. Er fügt Bernhards klarer Abrechnung noch einen eigenen polemischen Text von Holzhammer-Überdeutlichkeit gegen die geläufige »Nie wieder«-Rhetorik hinzu. Der Regisseur führt das Publikum auf einen Parcours durch die Nazi-Geschichte. Videos von Lion Bischof zeigen die Sieg-Heil-brüllende Masse auf dem Heldenplatz, Aufmärsche, Kriege und Vernichtung bis heute, Hetzreden von Franz-Josef Strauß, die Entlarvung des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim als Kriegsverbrecher, die geschichtsverleugnenden AfD-Sprüche. Im Sounddesign von Matthias Grübel schwillt immer wieder Massengeschrei an wie in den Ohren der Frau Professor. Und die heutigen Lautschreier und Querdenker sitzen stumm mitten im Publikum: als weiße Gipsköpfe, mit gerecktem Zeigefinger oder geballter Faust.
Der tote Professor Schuster spricht durch seine Angestellten und Hinterbliebenen. Im ersten Akt bügelt seine Wirtschafterin Frau Zittel geschäftig weiße Hemden: Annette Paulmann erklärt in einem grandiosen Monolog dem Hausmädchen Herta das fachgerechte Zusammenlegen sowie die Familienverhältnisse und Psyche des Professors. Herta starrt traumatisiert aus dem Todesfenster, ordnet und poliert dann manisch die vielen Schuhe. Katharina Bach lässt zwischen Apathie und Ungeschicklichkeit oft ihre kleine Zukunftshoffnung aufblitzen. Die Töchter, die redselige Bibliothekarin Anna (Wiebke Puls) und ihre schweigsame Schwester Olga (Thomas Hauser spielt sie als Transfrau) in schicken Designerkostümen (von Amit Epstein) tragen alte Differenzen und Erinnerungen aus. Den Bruder des Toten, Professor Robert, spielt der an die Kammerspiele zurückgekehrte Wolfgang Pregler bravourös als Greis an Gehstöcken: Luzide rekapituliert er mit scharfem Urteil die Gedankengänge des Verstorbenen. Über die roten Lackvorhänge hat sich von unten ein Auslöschungs-Schwarz geschoben, das im dritten Akt noch höher wächst. Da sitzen Jeanette Spassova
als fragil-exzentrische Frau Professor und der glasknochenkranke Erwin Aljukić als rebellischer Sohn Lukas mit allen am Tisch. Doch zuvor liefern drei Gäste wie Showmoderatoren den Text von Falk Richter ab, gehen damit sogar ins Publikum.
Inszenatorisch ein Fremdkörper, dramaturgisch eine vergröbernde Fortschreibung von Bernhards wütender Anti-Nazi-Polemik. Auch wenn man die Wut Richters auf das folgenlose »Nie-wieder«-Geschwätz unserer Politiker nach jedem rechtsextremen Anschlag teilt, mag man es sich nicht derart agitatorisch um die Ohren hauen lassen. Es bremst auch die Schauspieler aus. Weil die Botschaft so überdeutlich dominiert, bleiben ihre Figuren Chiffren statt lebendiger Personen. ||
HELDENPLATZ
Kammerspiele | 23. Jan. | 18 Uhr | 5. Feb. | 19 Uhr | 15., 16. Feb. | 19.30 Uhr | Tickets: 089 23396600
Weitere Theaterkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
»WoW – Word on Wirecard« an den Kammerspielen
Valentiniade: Das Karl Valentin-Stück am Residenztheater
Parzival: Arno Friedrichs Bearbeitung am Theater Viel Lärm um Nichts
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton