Covid, Tief Bernd und die Spionagesoftware Pegasus – die Katastrophenmeldungen reißen nicht ab in diesem Sommer. Der Münchner Kultur können sie wenig anhaben. Die macht sich zunehmend breit in Räumen, die zum Schutz von Leib und Leben, Hab und Gut gebaut wurden : Der Bunker als  Kulturfestung.

Kultur im Bunker

Zuflucht im Katastrophensommer

Im BNKR-Space am Nordfriedhof setzen sichdie Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath mit selbstgewählter und zwangsverordneter Isolation auseinander. Mit der Teileröffnung des MUCA-Kulturbunkers am 23. Juli im Hackenviertel sind Stephanie und Christian Utz ihrem Ziel einen großen Schritt nähergekommen, Street- und Urban-Art in der Kunstgeschichte zu etablieren. Und ab August, nach der Schließung der Architekturgalerie im Kunstareal, kann sich Nicola Borgmann ausschließlich auf die Transformation des Hochbunkers an der Blumenstraße konzentrieren, den die Stararchitekten Snøhetta momentan zu einem neuen Architekturzentrum ausbauen.

Insgesamt 40 Hochbunker wurden zu Beginn der 1940er Jahre im Rahmen des Luftschutzprogramms in München errichtet, in unterschiedlichen Varianten als Serienbauten mit der Bezeichnung LS-Sonderbauwerk von 1 bis 40 durchnummeriert. Für die Planung war das Stadtbauamt München unter der Leitung von Karl Meitinger verantwortlich. Viele davon waren bis vor wenigen Jahren noch als Teil des Zivilschutzes in Betrieb. Ab 1993 etablierte sich einer der wichtigsten internationalen Kunsträume Münchens im Hochbunker in der Prinzregentenstraße als Kunstbunker Tumulka. Trotz des großen Erfolgs musste er wegen Brandschutzauflagen geschlossen werden.

Seither arbeiten Denkmalschutz, Lokalbaukommission und vor allem private kulturbegeisterte Macher daran, die noch vorhandenen Hochbunker Münchens so zu ertüchtigen, dass sämtliche Vorschriften eingehalten werden, ohne den einzigartigen Charakter der Betonriesen zu verwässern. Begonnen hatte das Revival der Kulturbunker, als der Bund und die Landeshauptstadt als Eigentümer begannen, die Ungetüme aus Beton für Fremdnutzungen meistbietend zu verkaufen. Nur das größte Exemplar in Allach wurde 2010 mit hohem Aufwand abgerissen.

Ungererstraße: BunkR-Space
Schutzraum, Flüchtlingsunterkunft und Internierungslager, dann Luxusappartment

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Hochbunker-Verwandlungen: Wohnen mit Kunst-Erdgeschoss in der Ungererstraße | © hiepler brunier (2014)

Der von Karl Meitinger selbst entworfene einst siebengeschossige Bau in der Ungererstraße trägt ursprünglich die Bezeichnung LS-Sonderbauwerk 5. Er gehört zur Gruppe der Flachdachbauten auf rechteckigem Grundriss. Nach Ende des Krieges funktionieren die Besatzungsmächte den ehemaligen Schutzraum zum stacheldrahtumzäunten Internierungslager zur Entnazifizierung um, Meitinger selbst sitzt hier ein. 2010 verkauft die Liegenschaftsverwaltung des Bundes den maroden siebengeschossigen Betonbau an den Immobilienentwickler Euroboden. Dessen Chef Stefan Höglmaier lässt seinen Architekten Till Sittmann-Haury von raumstation ein Geschoss draufsetzen und zieht in das dreigeschossige Penthouse mit Sauna und Dachterrasse über seinen Büroräumen gleich selbst ein. Zusätzlich zu weiteren Wohnungen baut er das Untergeschoss zu einem Ausstellungsraum für Kunst aus, der unter der Marke BNKR-Space längst impulsgebender Bestandteil der Kulturszene über den Münchner Norden hinaus geworden ist.

Nicht nur wegen der öffentlich zugänglichen Nutzung für Ausstellungen, sondern auch wegen der baulichen wie inhaltlichen sichtbaren Auseinandersetzung mit dem Ort geht die Transformation feinfühlig vonstatten. Die herausgesägten rechteckigen Fenster der Wohnungen und Büroräume bleiben im strengen Raster und lassen dem Bau seine Ernsthaftigkeit, die nur punktuell beim Garagenanbau und dem zurückgesetzten zusätzlichen Dachgeschoss mit hochglanzpolierten Edelstahlblechen mit einem Augenzwinkern persifliert und veredelt wird. 2000 Tonnen Material werden im Zuge der sieben Monate andauernden Durchlöcherung abgetragen. Spuren des Eingriffs liegen als sperrige Betonquader wie Skulpturen der Erinnerung neben dem windschlüpfrigen knallroten Tony Cragg vor dem Gebäude.

Die aktuelle Ausstellung »Architecture of Confinement« im BNKR-Space ist ein hintergründiges und emotional ergreifendes Kaleidoskop mit Blick auf die unterschiedlichen Formen der Isolation. »Als wir unser Ausstellungskonzept für den BNKR-Space planten, konnten wir nicht ahnen, dass es zwei Jahre später unter Covidbedingungen in völlig neuem Licht gesehen werden würde«, erklärt Kurator Till Fellrath bei seiner Führung durch die Räume. »Wir haben die Arbeiten auf ihren konkreten Raum hin ausgewählt und setzen uns mit der unbequemen Geschichte des Bauwerks aus der Nazizeit und den einzigartigen Ausstellungsräumen hinter meterdicken Stahlbetonwänden im Basement auseinander.« Nach der einjährigen pandemiebedingten Aufschiebung wirken die Installationen der sechs Künstler und Künstlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen noch unmittelbarer. Ein möglicher Lockdown, der auch jeden Besucher wieder in die Isolation bringen kann, reichert die Arbeiten unterschwellig auf einer Metaebene an. Bei der Installation »Modulor I« von Nadia Kaabi-Linke steht der Besucher nicht etwa in einem Raummodul von Le Corbusier, sondern findet sich in den Umrisslinien der beängstigend kleinen Einzelhaftzellen berüchtigter Gefängnisse wieder. Die Bunkerarchitektur mit dem unerreichbar hohen Fenster in den meterdicken Laibungen, die den Blick in die vorbeiziehenden Wolken rahmen, wird Teil der Installation. Trotz der sachlichen, auf Linien reduzierten Arbeit befällt den Betrachter ein Schauder, als säße er selbst in der Falle von Alcatraz oder Robben Island, wo Nelson Mandela 18 Jahre seines Lebens in einem einzigen vier Quadratmeter großen Raum verbrachte.

Hotterstraße: MUCA-Kulturbunker
Obdachlosenunterkunft, Hotel und Szene-Geheimtipp

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Altstadt-Bunker: MUCA in der Hotterstraße © MUCA

Ein neues Highlight in der Münchner Kulturbunkerlandschaft ist der MUCA-Bunker in der Hotterstraße. Der erste Teil der Ausstellungsräume wurde am 23. Juli in Form eines ersten Sneak Peak informell eröffnet. Wie im Dornröschenschlaf versteckt sich das LS (Luftschutz)-Sonderbauwerk Nr. 32 im Hackenviertel aus dem Jahr 1942 hinter seinem zugewachsenen Betonmantel. Nach Kriegsende wird er als Unterkunft für obdachlose Münchner genutzt, ab 1946 vier Jahre lang als Hotel, 2012 tobt hier – ein Geheimtipp – das Nachtleben in der Diskothek »Herr Hotter«, die aber bereits nach sechs Monaten wegen Lärmbelästigung der Nachbarn geschlossen wird. 2016 richten Stephanie und Christian Utz im ehemaligen Umspannwerk der Stadtwerke ihr privates Museum of Urban and Contemporary Art auf dem Nachbargrundstück ein. Wegen großen internationalen Interesses am weltweit ersten Museum dieser Art entschließen sie sich, den Bunker auszubauen. Den Originalzustand haben die Museumsmacher so weit wie möglich belassen. Vorerst sind nur das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss zugänglich, wo die Wandbilder von Zeus, Rocco und seinen Brüdern oder Mina Mania in den kleinen Räumen ihre Wirkung entfalten. Mit dem zweiten Sneak Peak, der voraussichtlich im September stattfinden wird, wird ein weiterer Teil der Sammlung öffentlich zugänglich gemacht. Der Besuch wird sich lohnen, nicht zuletzt, weil viele Werke einen Ausblick auf das temporäre Kunstlabor 2 geben, das im kommenden Herbst in der Dachauer Straße 90 eröffnet wird. Zusätzlich zu aktuellen Ausstellungen soll der MUCABunker die gesamte Street-Art-Entwicklung weltweit dokumentieren, mit dem Ziel, diese Kunstdisziplin endlich auch in der Kunstgeschichte zu etablieren.

Blumenstraße: Architekturgalerie
Schutzraum bis lange nach dem Fall der Mauer

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Dependance der Architekturgalerie im
Blumenstraßen-Bunker | © Gustav Goetze

Bereits seit vier Jahren bespielt die Architekturgalerie den Bunker in der Blumenstraße, das LS-Sonderbauwerk Nr. 8. Seither haben hier 50 Ausstellungen stattgefunden, viele mit Beteiligung internationaler Architekten. Niedrige Raumhöhen, Sondergenehmigungen beim Brandschutz und eiskalte dunkle Räume im Winter machen den Betrieb für alle Beteiligten zur grenzwertigen Herausforderung. Mit viel charmanter Penetranz ist es nun Nicola Borgmann gelungen, mit Unterstützung der Stadtbaurätin Elisabeth Merk eine Baugenehmigung für die behutsame Ertüchtigung zu erhalten, die dem Denkmalschutz gerecht wird und das knappe Budget nicht überstrapaziert.

»Der Ausbau wird nicht auf einmal passieren, sondern ist Bestandteil jeder einzelnen Ausstellung als Work in Progress«, erläutert Nicola Borgmann das Konzept. »So hoffen wir, dass wir step by step zu einer Heizung und zu einer funktionalen Beleuchtung kommen, die dann nach Ende der jeweiligen Ausstellung fest installiert bleiben.« Begonnen hat der Prozess bereits mit der Werkschau der Schweizer Architekten Burkhardt und Partner, als zusätzliche Fluchttüren aus den Wänden gesägt wurden. Den entscheidenden Schritt werden nun aber die norwegischen Stararchitekten von Snøhetta vornehmen. »Wir werden die Zwischendecke zwischen dem zweiten und dritten Geschoss herausschneiden und nur eine Galerie stehen lassen. So erhalten wir einen Raum mit 4,50 m Höhe, der zur Agora des Bunkers wird«, ergänzt Nicola Borgmann. »Ein schlichtes Treppenmöbel aus Stahl wird in der Snøhetta-Ausstellung im Oktober das Exponat sein, das in den Galerieräumen für immer als Verbindung der Ebenen bleiben wird.«

Angesichts des neuen Booms an Kulturbunkern stellt sich die Frage nach einem Bunkermuseum in einem der noch leerstehenden LS-Sondergebäude. Wichtiger als eine retrospektive Geschichtsaufbereitung wäre zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ein Architekturzentrum in München, das nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft der Landeshauptstadt blickt. Mit dem Ausbau des Bunkers in der Blumenstraße vis a vis der Lokalbaukommision ist ein Anfang gemacht. Der Briefkasten hängt bereits an der Stahltür – mit einem starken Magnet. ||

Mehr zur Kultur in München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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