Das Augsburger Brechtfestival macht aus der Not eine Tugend und veranstaltet ein digitales Spektakel.

Brechtfestival Augsburg: #digitalbrecht

brechtfestival

Die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot streift durch die Nacht und projiziert sich auf Häuserwände | © , Bert Zander

Selber machen ist das Zauberwort der Stunde, nicht nur in den seit dem Lockdown überaus belebten heimischen Hobbyräumen und Garagen, sondern auch auf dem Theater. Das Augsburger Brechtfestival setzt seit jeher auf das Motto »Produktion statt Reproduktion«, will eigene Projekte und Inszenierungen präsentieren, statt nur zu sammeln und zu kuratieren. Ein Premierenfestival wollen sie sein, und mit diesem Konzept fahren die beiden Festivalleiter Jürgen Kuttner und Tom Kühnel dieses Jahr doppelt richtig: Als Ende Oktober klar wurde, dass es kein Präsenzfestival geben würde, waren sie nicht von Häusern oder Kompagnien abhängig, sondern flexibel und handlungsfähig. Sie mussten zwar alle schon eingeladenen Künstler und Künstlerinnen davon überzeugen, ihre Projekte für ein digitales und vorab aufgezeichnetes Format zu entwickeln, aber zum Glück sprang niemand ab: Insgesamt sind über 20 Premieren geplant. Vom 26. Februar bis 7. März wird es ein buntes Spektakel aus Videoinstallationen, Filmen, Konzerten, Lesungen und Hörspielen zu erleben geben, alles auf der Festivalhomepage.

Das erste digitale Brechtfestival also, das klingt, als habe eine neue Zeitrechnung begonnen. In gewisser Weise hat sie das auch, und es macht Mut, dass die Festivalmacher nicht verschämt eine Überbrückungsausgabe veranstalten, in der sie das Digitale als notwendige Krücke hinnehmen. Vielmehr geht das Festivalteam diese Situation proaktiv an, versteht die Herausforderung als Einladung zur Kreativität und zum Probieren neuer Konzepte. Was viele Kulturfestivals letztes Jahr als Beschneidung empfanden, klingt hier wie eine natürliche
Weiterentwicklung der eh schon multimedialen Herangehensweise, denn bereits in den vergangenen Jahren waren Konzerte, Filme, Hörstücke und Lesungen ein Wesensmerkmal des Festivals und spiegelten so die Bandbreite in Brechts Werk.

Schon im letzten Sommer begann das Festivalteam vorsorglich, auch ein digitales Konzept zu entwerfen und kann von dieser Vorarbeit nun zehren: Seit September führen Kuttner und Kühnel sowohl auf der Homepage als auch in den sozialen Netzwerken ein Arbeitsjournal, in dem sie sich in Fundstücken, Videos, Interviews an Brechts Kosmos annähern und die eigene Vorgehensweise reflektieren. Das liest sich icht nur kurzweilig und macht Lust darauf zu sehen, welche Puzzleteile Eingang in die Produktionen finden werden, sondern das Offenlegen der eigenen Versuchsanordnung ist durchweg sympathisch: Ein komplett digitales Festival ist nun mal neu für alle Beteiligten, wird so aber nachvollziehbar. Eine Notiz aus einem Teammeeting zitiert die Augsburger Kulturamtsleiterin, die treffend feststellt, dass das Selbstverständnis des diesjährigen Festivals »zwischen Zuversicht und Unsicherheit, zwischen Krisenmanagement und formeller Avantgarde« pendle – wer nichts wagt, wird die Kunst nicht weiterbringen. Dieses Selbstbewusstsein deutet den Umstand, dass vermutlich nicht alle Formate gleich gut funktionieren werden, vom Scheitern zum künstlerischen Mut um.

brechtfestival

Festivalleiter Jürgen Kuttner und Tom Kühnel © Fabian Schreier

Das Arbeitsjournal kommt natürlich nicht von ungefähr, denn Brecht selbst reflektierte seinen eigenen Arbeitsprozess ebenfalls in ausführlichen Notizbüchern. Ein ambulantes Archiv seien diese Notizbücher gewesen, so heißt es im Vorwort zur kritischen Ausgabe der von ihm zusammengetragenen Materialsammlungen, Merkhilfen und Ideen. Die meisten seiner später veröffentlichten Werke finden hier ihren Ursprung. Aus dem Journal des Festivals lassen sich auch schon einige der Schwerpunkte herauslesen. Ein Fokus wird auf »Brechts Frauen« liegen und eine Vielzahl von Persönlichkeiten und ihre Arbeit mit und jenseits von ihm beleuchten. Denn Brechts Kosmos bestand aus einer Vielzahl von Mitstreitern, vielmehr Mitstreiterinnen, die oft erst als seine Geliebten wahrgenommen wurden, nicht als eigenständige Künstlerinnen. Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin und Ruth Berlau etwa, die hier in mehreren Produktionen berücksichtigt werden. Das Schauspielerehepaar Lina Beckmann und Charly Hübner nimmt sich des Briefwechsels zwischen Helene Weigel und Brecht an, Corinna Harfouch erarbeitet ein Projekt nach Simone Weils »Fabriktagebuch« und Brechts Stück »Die Mutter«. Die wunderbare Puppenspielerin Suse Wächter bringt einige ihrer Figuren mit Brechts Musik in Kontakt: »Helden des 20. Jahrhunderts singen Brecht« heißt ihr Projekt. Dass es den Festivalmachern nicht nur um technische Synergieeffekte geht, zeigen Kooperationen wie die von Kuttner angestoßene Zusammenarbeit des Passanten Verlags mit Suhrkamp, die es ermöglichte, einige von Brechts Kalendergeschichten in einfacher Sprache zu veröffentlichen. Für das Festival liest die Schauspielerin Sophie Rois aus den Texten und die Animationskünstlerin Katja Fouquet gestaltet dazu einen Trickfilm.

Für treue Festivalgäste wird es auch diverse Wiedersehen geben, etwa mit der Brassband Banda Internationale, die 2015 durch Erstaufnahmelager tourte und das Ensemble mit Geflüchteten ergänzte. Letztes Jahr traf die Band während des Festivals auf die Sängerin Bernadette La Hengst und arbeitet sich nun als Kollektiv an Brechts Migrationserlebnissen ab. Damit die Augsburger Wurzeln des Festivals nicht gänzlich im digitalen Raum verschwinden, hat der Berliner Videokünstler Bert Zander die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot Lieder von Bert Brecht, Kurt Weill und Hanns Eisler performen lassen, die Aufnahmen in einem nächtlichen Streifzug auf Augsburger Häuserwände projiziert und aus diesen Videoinstallationen einen Film geschnitten, der auch in Zeiten von leer gefegten Bars, Kneipen und Spielstätten eine spirituelle Verortung ermöglicht – er selbst nennt es eine rituelle Geisteraustreibung.

Das ist alles noch im Entstehen, sprüht aber jetzt schon vor Ideen und dem Drang, diesen Brecht-Kosmos zu teilen und zu beleben. Die meisten Produktionen werden voraufgezeichnet, aber mit Liveeinführungen, Kommentaren und Gesprächen gerahmt. Ein Timetable wird die Projekte zusammenführen – sicherlich eine gute Entscheidung, um sich einmal mehr von überfrachteten Streamingplattformen abzusetzen. Das Programm wird laufend ergänzt, und Anfang Februar final auf der Homepage bekannt gegeben. Ab dann wird es auch Festivalpässe zu kaufen geben, mit denen sich die Zuschauer über die Homepage einloggen können und zu den einzelnen Produktionen gelangen. Das Angebot gilt übrigens weltweit. ||

BRECHTFESTIVAL AUGSBURG
Online | 26. Februar bis 3. März | Programm und Tickets

Unsere aktuelle Ausgabe

Das könnte Sie auch interessieren: