Stefan Kutzenberger seziert in seiner Satire »Jokerman« die Mechanismen von Verschwörungstheorien.

»Jokerman«: Wer sticht den Trumpf?

jokerman

Pop und Religion haben ja durchaus Gemeinsamkeiten. Fans und Jünger verehren eine oder mehrere Heiligkeiten kultisch, hängen ihr an den Lippen und setzen ihr Wort oder ihre Schrift geflissentlich und oft unhinterfragt um. Im Falle von Bob Dylan hat diese Stilisierung sogar zu einem halb ernsten Spitznamen geführt: »His Bobness«. Der österreichische Schriftsteller Stefan Kutzenberger spinnt diesen Umstand in seinem irren wie witzigen Roman »Jokerman« zu einer weltumspannenden Religionsgemeinschaft aus, die im Untergrund agiert und die Songtexte des Literaturnobelpreisträgers in verschiedenen Auslegungen umsetzt, inklusive Schisma. Mauerfall, 9/11 – alles in »All Along the Watchtower« nachzulesen!

Kutzenberger ruht sich jedoch nicht auf dieser zugegeben ulkigen Prämisse aus, nein, denn der Literaturwissenschaftler forscht selbst zu Autofiktionen, also dem Verweben von Autobiografie und Fiktion, und setzt sein Alter Ego als Ich-Erzähler ein, der durch ein Malheur in diese Weltverschwörung stolpert: Er soll bei einer Literaturtagung einen Vortrag zu Dylans Song »Jokerman« halten, legt den Text durch einen dümmlichen Übersetzungsfehler neu aus und wird dort von führenden Dylanologen, also den orthodoxen Gläubigen, zum Heiland erklärt, zum Jokerman. Dem wiederum fällt aufgrund anderer Textzuschreibungen die Aufgabe zu, Donald Trump zu ermorden, damit er nicht wiedergewählt wird. Ungünstig nur, dass Trumps erste Amtszeit ebenfalls der Gemeinschaft zu verdanken ist, aber das lässt sich ja beheben. Wer sticht den Trump(f) im Kartenspiel? Natürlich der Joker. Solche platten Wortwitze sind Grundlage der Liturgie.

In diesen schiefen Sprachanalogien liegt auch einer der Ansatzpunkte von Kutzenbergers eigentlicher Kunst: Das alles klingt nicht zufällig nach einer gehörigen Verschwörungstheorie, denn genau deren Mechanismen legt er mit viel Witz und Selbstironie frei. Wenn die Trennung zwischen Fakt und Fiktion zur Auslegungssache erklärt wird, geraten Moralvorstellungen und ganze Wertesysteme ins Wanken und stürzen letztlich wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

»Jokerman« ist, ganz ohne Wortwitz, ein Politthriller im Kleid einer Verschwörungstheorie im Kleid eines Schelmenromans, und diese Verschachtelung macht den Roman so klug und unterhaltsam zugleich. Dadurch dass er durchgängig ganz unprätentiös, vielmehr selbstironisch die eigene Fiktionalität thematisiert und auf die Gemachtheit von Literatur verweist, enttarnt er vor allem die Absurdität von willkürlichen Glaubensbekenntnissen – eine Feststellung, die gar nicht mehr ganz so selbstverständlich ist, aber eigentlich zeitlos sein müsste. ||

STEFAN KUTZENBERGER: JOKERMAN
Berlin Verlag, 2020 | 352 Seiten | 22 Euro

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