Reicht es, wenn eine Gesellschaft als Zivilisation funktioniert? Es gibt Menschen, die sich nicht damit zufriedengeben, einfach zu überleben. Man ist hier ja nicht im Krieg. Für diese Menschen geht es auch um das WIE. Hier kommt die Kultur ins Spiel. Denn sie ist es doch, die das Leben lebenswert macht. Oder?
Kultur & Corona: Suche Ticket!
Worauf müssen wir seit Monaten verzichten? Materiell: auf fast nichts. Nicht auf Klopapier, nicht auf Lebensmittel, nicht auf geheizte Räume und fließendes Wasser, auf Strom und funktionierende Tankstellen. Wer im Theater hustende Nachbarn oder im Kino den Nacho-Mief aus der nächsten Reihe ertragen musste, dem wird das jetzt nicht fehlen. Derartige »Events« fühlen sich neuerdings an wie großzügige Businessclass-Upgrades. Man könnte sie genießen – ginge man denn hin. Das tun aber viel zu wenige. Man kann Corona nicht schönreden. Aber wenn die Kanzlerin empfiehlt, man solle so wenig wie möglich aus dem Haus gehen, kann sie keinen Ort der Kultur meinen. Man muss annehmen, dass sie und der bayerische Ministerpräsident seit Monaten kein Theater von innen gesehen haben, denn sonst wüssten sie, wie es dort zugeht: nämlich wie in einem Hochsicherheitstrakt. Statt der Mahnungen, möglichst wenig aus dem Haus zu gehen, hätten sie das Publikum explizit motivieren können: Wenn Sie sich sicher fühlen wollen, gehen Sie ins Konzert! Ins Theater! Ins Museum! So vielen Menschen in Kurzarbeit wird die Zeit lang und länger.
Warum koppelt man die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes nicht an den Kunstkonsum? Die Theater und die Orchester könnten dreimal am Tag spielen. Und statt viel zu komplizierte »Sofort«-Hilfen anzukündigen, wäre es doch viel sinnvoller, dass der Staat die verlorenen Eintrittsgelder für jeden verordneten leeren Platz übernimmt und diese den Veranstaltern und den Künstlern direkt auszahlt, wie es Andreas Schessl, Geschäftsführer von München Musik, vorgeschlagen hat.
Absurde Publikumsabschreckung
Fragt man nach, warum Menschen beispielsweise nicht ins Theater gehen, ist die Antwort meist ein diffuses Abwinken. Nein, jetzt nicht, zu gefährlich, will niemanden anstecken, will mich keinem Ansteckungsrisiko aussetzen. Ich traue mich nicht, ich habe zu viel Angst. Vor dem Weg ins Konzert, davor, sich im Theater anzustecken. Manchmal fällt das gefährliche Wort »Menschenmassen«. Man fragt sich, wo diese sein sollen. Im Theater? Stattdessen erlebt man so gut wie keine Veranstaltung, bei der alle der zur Verfügung stehenden 28 (statt 99 in der freien Szene) oder 200 (statt 1038 wie im Prinzregententheater) oder gar 500 Plätze tatsächlich besetzt wären. Zum Beispiel die Münchner Philharmoniker: Im Gasteig bespielen sie einen Saal, in dem normalerweise 2572 Personen Platz finden.
Neben der Bayerischen Staatsoper und der Nürnberger Meistersingerhalle sind sie die Einzigen in Bayern, die bis 26. Oktober vor 500 Zuschauern spielen durften. Trotzdem sind sie nicht immer ausverkauft, was am schwerfälligen Handling liegt: Zum Verkaufsstart eines Konzerts stehen 200 Tickets zur Verfügung. Der Ansturm am Anfang ist riesig. Wenn dann drei Tage vor dem Konzert, also extrem kurzfristig, die Information aus dem Staatsministerium für Kunst kommt, dass 300 Tickets zusätzlich angeboten werden dürfen, kommt es aber nicht zu einer zweiten Buchungswelle. Grund dafür ist, dass der Umgang mit den Wartelisten, die nach der ersten Buchung angelegt werden, nicht funktioniert. Tickets bleiben übrig, weil die Besucher sagen: Wir kriegen sowieso keine Karten. Auch wenn die Abonnenten persönlich von den Philharmonikern über die Kontingente informiert werden, können diese sich schwer zum Besuch überwinden, denn man hört ja: Solche Menschenmassen sind gefährlich. Und das Ministerium fühlt sich darin bestätigt, dass gar nicht so viele Besucher ins Konzert wollen, wie behauptet wird. Leider kommt auch aus dem Münchner Kulturreferat kein entschiedenes Signal zur Verbesserung des operativen Szenarios. Es gilt nur eine Sichtweise: Regeln und Verordnungen (also die aus dem Staatsministerium) müssen befolgt werden, egal, wie wenig sie mit der Realität des Kunstbetriebs zu tun haben. Das schreckt das Publikum ab. Boshaft könnte man dieses Prozedere als strategischen Kultur-Boykott betrachten.
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