Carolina Criado-Perez zeigt, warum und auf welche Weise Frauen auf der Strecke bleibt.
»Unsichtbare Frauen«: Zum Anderen gemacht
Die Prämisse, die Caroline Criado-Perez’ Buch »Unsichtbare Frauen« zugrundeliegt, besticht durch Klarheit: Unsere Welt wird nicht nur von Daten beherrscht, sondern auch durch diese geformt. Allerdings repräsentieren diese Daten fast ausschließlich Männer, was zu einer »geschlechterbezogenen Datenlücke« führt und dazu, dass Frauen unsichtbar bleiben. Das Problem liegt allerdings nicht nur darin, dass sie keine Repräsentation erfahren; die Datenlücke wirkt sich auch auf ganz unterschiedliche und teilweise äußerst bedrohliche Weise auf das Leben von Frauen aus.
Caroline Criado-Perez, Journalistin und feministische Aktivistin, ist bei ihrer Recherche tief in das Meer empirischer Daten abgetaucht. Und so zeigt sie die Ungerechtigkeit, die durch strukturellen Sexismus entsteht, anhand zahlreicher Beispiele aus Fallstudien, wissenschaftlichen Artikeln und Interviews. »Kann Schneeräumen sexistisch sein?«, fragt eine Kapitelüberschrift, und – Spoiler-Alert – es ist möglich (und die Ursachen und Folgen sind höchst lesenswert). Drei Themen ziehen sich durch das Buch: der weibliche Körper, die von Frauen geleistete Care-Arbeit und die von Männern gegen sie gerichtete Gewalt. Diesen kommt Criado-Perez in ganz unterschiedlichen Bereichen auf die Spur. So erfahren Leser*innen, dass Büros für Frauen häufig zu kalt sind (da sich die Klimaanlagen am prototypischen Männerkörper orientieren). Dass ein Viertel der Frauen in der EU aufgrund der von ihnen geleisteten, unentgeltlichen Care-Arbeit keiner bezahlten Lohnarbeit nachgehen kann (auf Deutschland gemünzt, sind das um die sieben Millionen Frauen).
Und immer wieder wird deutlich, dass der Ausschluss und die Gefährdung von Frauen dadurch entstehen, dass sie Entscheidungen schlicht nicht miteinbezogen werden. Das zeigen beispielsweise Zyklonschutzräume in Bangladesch. Die von Männern entworfenen Schutzräume sind häufig »nichts anderes als eine sehr große Betonkiste«, enge Räume also, in denen Männer und Frauen Zuflucht suchen sollen. Da es in der Kultur Bangladeschs jedoch tief verwurzelt ist, dass Frauen mit Männern nicht in Berührung kommen dürfen – und tun sie es doch, werden sie leicht zu Opfern von (sexueller) Gewalt –, suchen die Frauen die Schutzräume nicht auf. Das hatte im Jahr 1991 zur Folge, dass fünfmal mehr Frauen in einem Wirbelsturm ums Leben kamen als Männer.
Letzteres Beispiel zeigt, dass Caroline Criado-Perez bemüht ist, eine umfassende Perspektive einzunehmen. Eine Perspektive, die den globalen Norden und Süden miteinbezieht, die der Tatsache Rechnung trägt, dass wir nicht nur durch unser Geschlecht geprägt sind, sondern unter anderem auch durch unsere Herkunft und Hautfarbe. Und dennoch weist auch Criado-Perez’ Text Lücken auf. Vorgeworfen wird ihr, durch ihren Fokus auf die Binarität der Geschlechter, nicht binäre Geschlechteridentitäten wie die von trans- oder intersexuellen Menschen außen vor zu lassen. Darüber hinaus wäre eine kritischere Betrachtung von Daten und einer auf Daten basierenden Welt wünschenswert ebenso wie konkrete Ideen, wie struktureller Sexismus künftig bekämpft werden könnte.
Aber vielleicht kann ein Buch so viel gar nicht leisten. Was der Autorin jedoch gelingt, ist eine aufschlussreiche und spannende journalistische Recherche. »Unsichtbare Frauen« ist ein engagiertes Buch, Gedankennahrung und ein Augenöffner. In einer Welt, die bis in den digitalen Binärcode in zwei Teilen gedacht wird, herrscht immer die Gefahr, dass ein Part auf der Strecke bleibt, zum Anderen gemacht wird. Oder, wie es bereits Simone de Beauvoir geschrieben hat, zur Frau. ||
CAROLINA CRIADOPEREZ: UNSICHTBARE FRAUEN. WIE EINE VON DATEN BEHERRSCHTE WELT DIE HÄLFTE DER BEVÖLKERUNG IGNORIERT
Aus dem Englischen von Stephanie Singh | btb, 2020
494 Seiten | 15 Euro
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