In den Staatlichen Antikensammlungen am Königsplatz stehen die Tiere im Mittelpunkt – allerdings erzählt das fast mehr noch über die Menschen.
Hund, Katze, Maus. Tiere in Alltag und Mythos: Knochen für die Götter
Das sitzt sie nun, die rötlich braune Maus, und macht sich seit über 2000 Jahren an einem Krümel zu schaffen. Ihr winziger Körper scheint vor lauter Eifer zu beben, so lebensnah hat ihr römischer Bildhauer sie getroffen – und Florian Knauß einen Coup gelandet. Tiere gehen immer, das weiß auch der Direktor der Antikensammlungen am Königsplatz. Mit »Hund, Katze, Maus«, so der Titel der Schau, ist ihm und Kurator Ulrich Hofstätter jedenfalls ein famoses Ablenkungsmanöver geglückt. Denn das Gros der Besucher zieht es gewöhnlich in die Glyptothek zum Barberinischen Faun und zu den Ägineten. Deren Gehäuse wird allerdings noch bis in den Herbst hinein saniert. Und dann sollten die Sicherungsanlagen so gut funktionieren, dass selbst Mäuse keine Chance haben.
Um solche Nager von Vorratskammern abzuhalten, wurden im ersten Jahrhundert vor Christus tatsächlich Bronzemäuse wie die eingangs erwähnte aufgestellt. Wo schon eine ihr Revier markiert hat, bleiben die andere fern, dachte man sich. Ein frommer Wunsch. Wer seine Getreidesäcke wirklich verschont wissen wollte, hat Schlangen bemüht. Mausende Katzen wurden erst langsam in römischen Zeiten aus Ägypten eingeführt. Und wer auf der Kline, also auf dem antiken Sofa, etwas zum Kraulen brauchte, hielt sich ein pusseliges Schoßhündchen. Aber für Kurzweil und Mußestunden musste auch erst ein gewisser Wohlstand eingekehrt sein. Größere und schärfere Vertreter dieser Spezies wurden für die Jagd ausgebildet. Das vermittelt ein schlichter Terrakotta-Hund aus Böotien mit einem Hasen im Maul (5. Jhd. v. Chr.). Genauso wurde die Treue geschätzt, die Ausdruck auf einer Bauchamphore des Kleophrades-Malers (500 v. Chr.) findet: Beim Abschied eines Kriegers, der in die Schlacht zieht, trauert ein Hund mit gesenktem Kopf. Solche sozialen Qualitäten sind in unseren Tagen fast noch mehr gefragt.
Doch das grundsätzliche Verhältnis von Mensch und Tier hat sich sehr wohl gewandelt, in den letzten hundert Jahren sicherlich stärker als in den fünf bis zehn Jahrtausenden zuvor. Ob beim Transport und im Haushalt, wo allenfalls noch Blinden- und Wachhunde »nützlich« sein müssen, oder in der Landwirtschaft. Reichtum wurde in der Antike gerne in Herdengrößen gemessen, mit Pferden war Staat zu machen wie heute mit einem dicken BMW, und eine Quadriga dürfte in puncto Renommee sogar einen Privatjet überflügelt haben. Das gemeine Volk musste selbstredend kleinere Semmeln backen und sich mit Ziegen und Schafen zufriedengeben. Wenn überhaupt. Hesiod, der dichtende Nebenerwerbslandwirt, nannte um 700 vor Christus drei Dinge, die ein Mann für ein halbwegs geordnetes Leben brauche: ein Haus, eine Frau und einen Ochsen für die Feldarbeit. Von Haus- und Hofschlachtungen war man sowieso noch weit entfernt, zumal das Töten von Tieren in eine kultische Handlung eingebunden wurde. Entweder das Familienoberhaupt griff bei der Zeremonie zum Messer oder bei staatlichen Festlichkeiten die Priester.
Das ist auf Vasen wie dem Glockenkrater, also einem Weinmischgefäß, des attischen Pothos-Malers (um 420 vor Christus) genau zu verfolgen: Die Opfernden haben sich mit Kränzen geschmückt, und ein Aulosbläser sorgt für würdige Klänge, während das Ferkel zum Altar gebracht wird – nichts ahnend, wofür es eben noch sein Einverständnis gab. Denn ein Tier hatte im Vorfeld tunlichst »befragt« zu werden. Dazu besprengte es der Priester im Rahmen einer symbolischen Reinigung mit Wasser. Blieb es ruhig, und das wird eher die Ausnahme gewesen sein, musste abgebrochen werden. Begann sich das Vieh zu schüttelten, wurde das als Zustimmung gewertet, und man schritt zur blutigen Tat. Dieses Prozedere mag man heute belächeln, der gewünschte Ausgang dürfte in den meisten Fällen erreicht worden sein, doch das Schlachten in einen Ritus einzubeziehen zeugt nicht zuletzt von einer Achtung, die man vor einem panierten Schnitzel nicht zwingend entwickelt. Und was ständig und billig und in großen Mengen zu haben ist, sinkt eben auch in der Wertschätzung. Natürlich ging es im antiken Alltag nicht immer ganz so bedächtig zu. Wenn Opfergemeinschaften ihr Fleisch nicht innerhalb weniger Tage verzehren konnten, kam ein Teil auf den Markt. Im alten Griechenland wurde nichts vergeudet, deshalb mussten sich die Götter beim Brandopfer mit Knochen und Fett begnügen, Fleisch und Innereien verspeisten die Sterblichen lieber selbst. Und wer konnte schon abschätzen, ob der hormongesteuerte Götterboss Zeus nicht gerade wieder als Verführer durch die Welt zog und einer Auserwählten als Stier oder Schlange auf die Pelle rückte. Im Gefieder eines Schwans schmiegt er sich gleich zum Auftakt der rund 300 Objekte umfassenden Ausstellung an seinen vielleicht bekanntesten One-Night-Stand, die schöne Leda.
Nicht ganz so aufdringlich gaben sich die olympischen Kollegen, wenngleich tierische Begleiter immer gefragt waren. Liebesgöttin Aphrodite, die Schaumgeborene, führte abwechselnd Turteltäubchen, Hasen, Muscheln oder Delfine im Schlepptau, Zeus’ strenge Gemahlin Hera einen imposanten Pfau, und Artemis, die Herrin der Tiere, wird gemeinhin mit einem Hirsch dargestellt. Ein Fall für Hollywood sind schließlich die großen Abenteurer. Odysseus begegnet unter anderem Skylla, einer Dame, deren Unterleib aus fünf Hunden besteht. Und Halbgott Herakles war eigentlich in einer Tour mit dem Plattmachen von Bestien beschäftigt. Bereits mit acht Monaten erwürgte er zwei Schlangen, 17 Jahre später den Nemeischen Löwen, mit dessen Fell und Haupt als Helm er nahezu unverwundbar wurde. Und dann ging es mit unbändiger Muskelkraft
weiter, und die neunköpfige Hydra, der erymanthische Eber oder Höllenhund Zerberus mussten dran glauben.
Man ist heute noch gebannt von solchen sagenhaften Geschichten, dabei ging es keineswegs nur um den Mut dieser Action-Helden, sondern genauso um das Unbezähmbare und Lebensbedrohliche der wilden Natur. Normalsterbliche sollten sich besser in Acht nehmen. Unter leicht veränderten Vorzeichen gilt das bis heute. ||
HUND, KATZE, MAUS. TIERE IN ALLTAG UND MYTHOS
Staatliche Antikensammlungen | Königsplatz 1 | bis 10. Januar | Di–So 10–17 Uhr, Mi bis 20 Uhr | Besuch mit MundNasen-Schutz | Führungen zu diversen Themen: jew. Mittwoch, 18 Uhr, max. 15 Personen, Anmeldung: 089 28927502
Die reich bebilderte Broschüre hat 88 Seiten und kostet 3 Euro
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