Münchens Schauspielschulen verheißen den Weg zum Traumberuf. Allein die Bayerische Theaterakademie bietet sieben Studiengänge an. Mit der Veränderung der Theaterlandschaft hat sich auch die Ausbildung gewandelt.

Eine Wette auf die Zukunft

theaterakademie

Lisa Schwarzer und Hardy Punzel in Christine Umpfenbachs Dokustück »Die Rote Republik« | © Jean-Marc Turmes

Der Andrang ist groß. Rund 600 junge Menschen bewerben sich jährlich für die Schauspielklasse. Nur acht bis zehn davon werden angenommen. Dennoch steigt die Zahl der Bewerber stetig. Der Besuch einer staatlichen Schauspielschule gilt nach wie vor als ein Gütesiegel, das den Berufseinstieg erleichtert.

Tatsächlich finden Dreiviertel der Absolventen der Theaterakademie August Everding ein Engagement an Stadttheatern von Ingolstadt über Dortmund bis Wien und überstehen die lausig bezahlten Anfängerjahre (ca. 2000 Euro brutto monatlich), nach denen Häuser Jungschauspieler oft austauschen. Das, erklärt der Leiter des Studiengangs Schauspiel und Metropoltheater-Chef Jochen Schölch, sei eine sehr gute Quote. Nur wenige allerdings werden so erfolgreich wie Lisa Wagner, Dimitrij Schaad und Genija Rykova, die Martin Kušej, inzwischen Direktor des Burgtheaters in Wien, nach dem Diplom ans Resi holte, oder die unlängst preisgekrönte Svetlana Beleseva.

Seit August Everding die Bayerische Theaterakademie 1993 gründete, hat sich die Theaterlandschaft grundlegend verändert.

Und selbst ein Engagement an einem großen Haus garantiert in diesem Beruf keine Sicherheit. Jeder Intendantenwechsel kann einen zwingen, sich neu ins Heer der Arbeit suchenden Schauspieler einzureihen. Im deutschsprachigen Raum gibt es 19 staatliche und unzählige private Schulen für Schauspieler. Dafür, so Schölch, reichen die Rollenangebote nicht aus. Zu den besonderen Vorteilen eines Schauspielstudiums an der Theaterakademie gehören die Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und frühzeitig Netzwerke aufzubauen. Die größte Ausbildungsstätte für Theaterberufe in Deutschland bietet sieben weitere Studiengänge an: Regie, Musical, Gesang/Musiktheater, Maskenbild, Dramaturgie, Bühnenbild und -kostüm, Theater-, Film- und Fernsehkritik. Durch die internationale Vernetzung können Studierende Auslandssemester in ganz Europa absolvieren und durch die Kooperation mit der Münchner Filmhochschule erste Kameraerfahrungen sammeln. Rund ein Drittel arbeitet später frei beim Fernsehen und Film und an wechselnden Bühnen. Auch leidenschaftliche Theaterschauspieler wirken in TV-Produktionen mit, sei es aus Lust oder um ihre prekäre Existenz zu finanzieren. Die Verdienstchancen sind für die Mehrheit gering, und eine Rolle in einer Vorabendserie ist längst kein Makel mehr.

Nicht nur das Genre Film hat an Bedeutung gewonnen. Seit August Everding die Bayerische Theaterakademie 1993 gründete, hat sich die Theaterlandschaft und damit die Ausbildung grundlegend verändert. So lernen Studierende heute, eigene Projekte im Kollektiv zu entwickeln, autobiografische Texte zu schreiben und künstlerisch zu verfremden. Wie versiert sie darin sind, zeigten sie in Christine Umpfenbachs Dokustück »Die Rote Republik« im Akademietheater.

Ziel der Ausbildung, so Schölch, sind »mündige Schauspieler«, die Autoren ihrer eigenen Texte sein und performative Spielweisen selbstständig gestalten können. Die Basis dafür aber ist nach wie vor die klassische Rollen- und Textarbeit und diese, meint Schölch, sei viel aufwendiger geworden. Die meisten lesen selten und kennen Dramen bloß aus der mageren Schullektüre. »Du musst Texte analysieren können, wissen, wie Figuren interagieren, wie du Charaktere baust, ehe du dich davon lösen kannst.« Keiner kann sich einfach auf die Bühne stellen und er selbst sein. Damit die im Theater gern behauptete Authentizität glückt, bedarf es langer Vorarbeit.

In der Theaterakademie werden nicht bestimmte Ästhetiken präferiert. Vielmehr versucht man, Studierende so zu schulen, dass ihnen ein weites Spektrum an Ausdrucksformen offen steht. Dazu gehört in einer Zeit, in der manch ein Regisseur Schauspieler wie Hochleistungssportler fordert, tägliches intensives Körpertraining. Sie sollen unfallfrei über sehnenmalträtierende Bühnenbilder turnen, sich rasch diverseste Tanzstile aneignen können. Ihre Stimmen müssen variabel einsetzbar sein »vom lyrischen Gesang über Turbo-Rap bis zu zweistündigem Dauerschreien«. Manch einer, der für solche Schreiorgien nicht geschult war, erzählt Schölch, hat seine Stimme in wenigen Jahren ruiniert.

Tücken des Hierachieabbaus

Gastdozenten wie Armin Petras oder Christiane Pohle arbeiten künstlerisch mit den Klassen, feste Kräfte führen sie in die Techniken der großen Schauspiellehrer von Stanislawski über Strasberg bis Meisner ein. 2018 ließ sich Schölch zudem in Los Angeles zum Chubbuck-Dozenten ausbilden. Die von Ivana Chubbuck, die Hollywoodstars wie Brad Pitt, Charlize Theron und Halle Berry coachte, konzipierte, auf Stanislawski basierende Technik ist nach seiner Erfahrung »eine extrem effiziente Methode, um sich selbstständig auf Rollen vorzubereiten«. Das wird nicht nur beim Fernsehen verlangt, wo kaum geprobt wird. Auch im Theater gehe klassisches Regiehandwerk zunehmend verloren. Der derzeitige Hierarchieabbau, glaubt er, sei dringend notwendig, doch er habe Tücken: Wichtige künstlerische Konflikte werden im Kollektiv oft nicht ausgetragen, und viele Regisseure leiten Schauspieler handwerklich nicht mehr an.

Die Zahl der Lehrkräfte übertrifft häufig die der Studierenden in einer Klasse. Jeder Einzelne braucht individuelle Betreuung. »Wir verstehen uns auch als seelische Reisebegleiter. Echte künstlerische Arbeit ist konfliktfrei nicht möglich.« Meist liege gerade in dem, was man intellektuell abwertet und vermeidet, der Schlüssel zu entscheidenden Entwicklungsprozessen. »Jeder muss sich mit den eigenen Ängsten, Aggressionen und Widerständen konfrontieren.« Nur wer sich darauf einlässt, kann ein wirklich guter Schauspieler werden. Talent allein reicht nie aus, betont Schölch. Jene, die in einer Klasse früh zum Star aufsteigen, werden später sehr häufig von den scheinbar weniger Talentierten überholt, die härter an sich arbeiten.

Wer schließlich reüssiert, lässt sich schwer vorhersagen. Die Auswahl der Bewerber, räumt Schölch unumwunden ein, sei »immer eine Glaubensfrage, eine Wette auf die Zukunft«. Seit Kurzem hat die Akademie damit begonnen, Kurse für Ehemalige zu öffnen. »Da treffen Profis, die seit Jahren im Berufsleben stehen, auf enthusiastische Anfänger. Davon profitieren alle.« Wer sich als Schauspieler langfristig behaupten und nicht nur TV-Soaps drehen will, erklärt Jochen Schölch, »darf sich nie zurücklehnen. Er muss bereit sein, lebenslang zu lernen.« ||

Website der Theaterkademie

Unsere aktuelle Ausgabe:
Online-Kiosk
ikiosk.de
Sie bekommen die aktuelle Ausgabe gratis zu einer Bestellung bei den folgenden Buchläden.

Das könnte Sie auch interessieren: