Marion Messina hat mit ihrem Debüt Furore gemacht und Vergleiche mit den ganz Großen evoziert.
Elende Jugend
Eine der großen Lügen der Adoleszenz ist das Versprechen, ein Studium würde die Zukunft besser machen: Freunde? Scharenweise. Liebschaften? Dutzende. Jobperspektiven? Glänzende. Die französische Autorin Marion Messina aber hält ihren Lesern die Finger ins heiße Fett und macht in ihrem Debüt »Fehlstart« ziemlich abgebrüht klar: Falsch. Ganz falsch. Das Studium und das Leben junger Menschen kann bitter aussehen. Wie das ihrer Hauptfigur Aurélie, kaum 20 Jahre alt, Jurastudentin und im Zustand einer 50-Jährigen in der Midlifecrisis. Freunde? Wenige. Liebschaften? Null. Jobperspektiven? Kaum. In Messinas Welt gehen Akademiker putzen und als Hostess zum Empfangsservice. Sie wollen alles und kriegen nichts und knechten sich unter dem Druck der Konformität. Sie wollen dazugehören, auf Partys gehen, mit so vielen Leuten wie möglich schlafen – weil man das doch tut, wenn man jung ist.
»Fehlstart« ist eine von Wut geschwängerte Kampfschrift auf das Leben im Dazwischen, ein knappes, auf 160 Seiten reduziertes Fragment aus dem Leben einer 20-Jährigen, das nicht so ist, wie sie sich das vorgestellt hat. Die kapitalistische Gesellschaft, der soziale Status, das französische Bildungssystem und zuletzt die eigene Unsicherheit machen es den Yolo-(»You only live once«)-Konformisten nicht möglich, Fuß zu fassen und Schritt zu halten mit denen, die ihrem Leben in Pariser Penthousewohnungen frönen.
In Frankreich wurde der raue, unverfälschte Stil der 1990 geborenen Autorin mit Michel Houellebecq und Virginie Despentes verglichen – zunächst eher lukrativ fürs Verlagsmarketing. Aber es sind tatsächlich diese unverfrorenen Beschreibungen, die Messinas Stoff Zunder geben. Nicht, weil sie vermeintlich damit provoziert, wenn sie Sätze schreibt wie »das erektile Organ zwischen seinen Beinen würde ihn nötigen, eine andere Vagina zu erobern«. Sie zünden, weil sie sich wie in einem erbosten Bewusstseinsstrom auf Papier gebannt lesen, als könnte nichts drängender sein, als das Schicksal dieser jungen Frau stellvertretend für so viele in die Welt zu tragen.
Aurélies erste große Liebe ist ein schnöder Luftikus, ein kolumbianischer Bubi namens Alejandro, dem die Frauen zufliegen und der glaubt, wenige Jahre Altersunterschied zwischen ihnen ermächtigten ihn zu einer heillosen Überreife, die ihn Sachen sagen lässt wie: »Ehrlich gesagt glaube ich nicht an Paarbeziehungen. Ich will dir nicht wehtun oder dich ärgern. Wir haben etwas Gutes, etwas sehr, sehr Gutes zusammen, aber wenn wir das irgendwie offiziell machen, geht es den Bach runter. Bei mir waren alle Beziehungen Katastrophen. Ich muss meine Freiheit behalten.«
Alejandro nervt mit seiner Ich-bin-ein-Draufgänger-und-steh-dazu-Nummer, und natürlich geschieht das Erwartbare: Er verlässt Aurélie, sie glaubt, die Welt gehe unter. Messinas Debüt endet mit den Worten »Aurélie war zwanzig Jahre alt«. Ein nüchternes Ende und doch der vielleicht einzige Hoffnungsschimmer in dem sonst so pessimistischen Manifest. Obwohl Aurélie den Glauben an die Welt verliert, ist ein Fehlstart keine Garantie für ihren Untergang. ||
MARION MESSINA: FEHLSTART
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Hanser, 2020 | 168 Seiten | 18 Euro
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