Kurz vor dem Wochenende gibt es nochmal drei »Untern Baum«-Tipps. Der Samstag kann dann genutzt werden, um einige Buchhandlungen zu durchstöbern. Noch mehr Tipps findet ihr in der aktuellen Ausgabe: Hier, hier und hier

Andrei Platonov – Die Glückliche Moskwa

von Chris Schinke
Von der schönen, strahlenden Moskwa und ihrem vermeintlichen Glück erzählt der russische Schriftsteller Andrej Platonow in seinem Fragment gebliebenen Roman »Die glückliche Moskwa«. Im nachrevolutionären Russland Mitte der 30er Jahre scheint sie wie das verkörperte Paradebeispiel des proletarischen Klassenstolzes. Die bürgerliche Lebensform samt ihrem moralischen Kodex der heimeligen Liebe und Treue sind Moskwa ein Graus. Daher verschleißt sie ihre Männer reihenweise und stürzt diese in existenzielle Nöte. Nicht dass die kopflastigen Jünglinge nicht so schon an existenziellen Sorgen litten, aber Moskwas Wesen lässt sie, im Verbund mit falschen Hoffnungen, geweckt durch Revolution und Fortschrittsglaube, endgültig vor die Hunde gehen. Dabei geistert die Idee vom »neuen Menschen«, geboren im Kommunismus, durch Platonows Roman, deren humanistische Kritik dem Autor jede Menge Ärger mit den stalinistischen Kadern einbrachte. Die 140-seitige »glückliche Moskwa« ist der ideale Einstieg in das Werk des Autors, dessen Credo stets Fortschritt und Menschlichkeit waren. ||

ANDREJ PLATONOW: DIE GLÜCKLICHE MOSKWA
Aus dem Russischen von Lola Debüser und
Renate Reschke | Suhrkamp, 2019 | 221 Seiten
24 Euro

Clarice Lispector – Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau

von Petra Hallmayer
Clarice Lispector, deren Debütroman »Nahe dem wilden Herzen« 1943 als literarische Sensation gefeiert wurde, gilt als bedeutendste Autorin der brasilianischen Moderne. Nun liegt der erste Band einer zweibändigen Ausgabe ihrer Erzählungen auf Deutsch vor. »Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau« vereint noch eher konventionelle und zunehmend verstörende Geschichten über die Schrecken der Pubertät und der Liebe, über Mädchen, die sich zu einsam leuchtender Heiligkeit oder zum Steinewerfen berufen fühlen, die widerständigen Emotionen und Konfusionen von Frauen, die versuchen, in den Glücksmodellen einer von klassischen Rollenbildern beherrschten Gesellschaft glücklich zu werden, traumverlorene Menschen, in deren Alltag sich der Boden auftut. Das Besondere daran aber ist nie der Plot, sondern Lispectors zwischen ungeschliffenen und schroffen, zarten und lyrischen Tönen, Lakonie und kühnen expressiven Bildern changierende Sprache, die sie zu einer der eigenwilligsten und faszinierendsten weiblichen Stimmen der Literatur macht. ||

CLARICE LISPECTOR: TAGTRAUM UND TRUNKENHEIT EINER JUNGEN FRAU
Aus dem Portugiesischen von Luis Ruby
Penguin, 2019 | 416 Seiten | 24 Euro

Jean-Yves Ferri und Didier Conrad – Asterix 38: Die Tochter des Vercingetorix

von Cornelia Fiedler
Sorry, es ist keine Revolution. Aber es ist definitiv ein Anfang! »Die Tochter des Vercingetorix« ist ein lustiger, erfrischend anderer, junger Blick auf die alten, weißen, dicken – »wer ist hier dick?« – wildschweinseligen Provinzpatriarchen um Miraculix, Majestix und Co. Erstmals werden die biederen, ja reaktionären Seiten des altbekannten gallischen Dorfs thematisiert, das sich selbst ja zu 100 Prozent über seine Widerständigkeit definiert. Um das erzählen zu können, nehmen Autor Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad in Band 38 eine Perspektive ein, wie sie fremder kaum sein könnte: die der Jugend. Aliengleich stromern Teenager durchs Dorf. Sie absolvieren Praktika im elterlichen Betrieb, hängen abends in Obelix’ Steinbruch ab und prangern das »Wildschweinsystem« an. Der charmant erzählte und detailgenau gezeichnete Generationenclash um Hauptfigur Adrenaline endet sehr versöhnlich. Ob »Asterix« wirklich im 21. Jahrhundert funktionieren kann – oder will –, ohne die latente humoristische Abwertung von Frauen und /oder Fremden, müssen die nächsten Bände zeigen – der Grundstein ist erst mal gelegt. ||

JEAN-YVES FERRI, DIDIER CONRAD: ASTERIX NR. 38 – DIE TOCHTER DES VERCINGETORIX
Aus dem Französischen von Klaus Jöken | Egmont, 2019 | 48 Seiten
Softcover
6,90 Euro

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