Der Lindauer Komponist Nikolaus Brass wird 70 Jahre alt. Anmerkungen zu einem zeitgemäß Unzeitgemäßen.

Nikolaus Brass| © privat

Am Ende war es doch ein Abenteuer. Denn Nikolaus Brass fuhr lange Jahre zweigleisig. Auf der einen Seite das Medizinstudium, etwas Solides, die Arbeit als Arzt, dann auch als Redakteur einer Fachzeitschrift. Auf der anderen die Musik, zunächst nebenbei, dann immer deutlicher im Zentrum des eigenen Interesses. Schnittpunkt der Welten ist der Mensch als kulturelles Wesen: »Musik ist neben dem ästhetischen ja ein soziales Ereignis. Menschen treffen aufeinander, Publikum und Spieler, Spieler untereinander. Wie gehen wir in dem Moment, wenn wir Musik hören oder machen, miteinander um? Ich höre ja nicht nur Schwingungen, Tonhöhen, Akkorde, sondern eine ständige Kommunikation, ein miteinander Agieren, aufeinander Reagieren, ohne dass ich das ausformuliere. Es ist als Hintergrund wichtig.«

Für einen Komponisten ist das eine ungewöhnliche Basis des eigenen Schaffens, denn im Unterschied zu Ästhetik, Abstraktion und den Formen absoluten Musikgestaltens macht sie angreifbar. Es geht um Emotionen und Standpunkte, um Wahrnehmung und Haltungen, die an Kunst herangetragen werden können. Das macht nahbar und ist einer der Gründe, weshalb sich die Musik im Laufe der Jahre immer weiter im Leben von Nikolaus Brass hat ausbreiten können, in verschiedenen Phasen der Näherung und Verinnerlichung:

»Als Schüler, so mit 16 oder 17, bin ich auf die Zweite Wiener Schule gestoßen, Schönberg, Webern, Berg. Vor allem Webern mit seiner Reduktion, den einzelnen Tönen, der Aura, die durch das Verfeinerte um das einzelne musikalische Element entsteht – das hat mich sehr fasziniert und angestoßen, es auch nachzumachen. Das war quasi der imitatorische Beginn. In der Folge bin ich dann auf Nono gestoßen und noch etwas später habe ich Helmut Lachenmann kennengelernt. Ich war nie beim ihm in der Klasse, aber ich bin über Jahre immer wieder zu ihm gefahren, habe ihm meine Sachen gezeigt und mir von ihm den Kopf waschen lassen. Ich habe ihn als einen sehr undogmatischen Menschen erlebt, der sehr genau wahrnehmen kann, wo jemand in seiner künstlerischen Entwicklung steht und wo es vielleicht noch an gedanklicher Kapazität fehlt. Er hat mir das Denken in der Musik und über Musik beigebracht. Dann bin ich natürlich Teil der Nachkriegsgeneration. Wir sind immer von einem, manchmal auch erstarrten Blick auf die Geschichte bestimmt, und von der Frage, was jede ästhetische Anstrengung im Angesicht dessen bedeutet, was passiert ist. Irgendwann aber kam noch ein ganz anderer Einfluss hinzu: Bei den Darmstädter Ferienkursen habe ich Morton Feldman erlebt, in den Achtzigerjahren. Seine Musik kannte ich nicht, sie war so anders, das hat mich sehr in den Bann gezogen. Nur hinhören, über die sinnliche Wahrnehmung begreifen, was für eine Struktur vorherrscht, wie lebendig und unendlich viel alles auch in der Reduktion ist. Er hat in mir die Haltung angeregt, als Komponist nicht zu viel zu wollen, sondern rezeptiv ein Empfangender zu sein, der nicht weiß, was er macht und wo er hinwill. Der wahrnimmt, was ihm zufällt. Damit sind zwei ästhetische Pole markiert, die mich beeinflusst haben und am Laufen halten.«

Und daraus ergibt sich wiederum vieles, was Nikolaus Brass während der vergangenen dreieinhalb Jahrzehnte als aktiv in der Szene agierenden Komponist umgetrieben hat. Zum Beispiel die Beschäftigung mit Klang im Raum, die etwa in Stücken für Stimmen oder auch in musiktheatralischen Werken wie »Die Vorübergehenden« (2018) als sich über den Verlauf der Darbietung hinweg verändernde Variable erweist. Oder der Umgang mit in der Neuen Musik eher unüblichen klassischen Formationen wie Kammerorchester, Streichquartett, Streichtrio, aber auch ungewohnten Instrumentalkombinationen, von Saxophon und Akkordeon bis zur den immer wiederkehrenden Singstimmen. Das sind inhaltliche Herausforderungen, einerseits in Bezug auf die gestalterische Gegenwart, vor allem aber im Hinblick auf die Traditionslinien, die einen Komponisten in größere Zusammenhänge stellen. Denn vor allem darin beweist sich für Brass eine Bedeutung, die über den Kreis der Spezialisten hinausreicht: »Dieses Nischendasein der Neuen Musik gefällt mir gar nicht. Ich will nicht für eine Nische komponieren. Wenn wir etwas heute schreiben, das neben Stücken der Tradition in Programmen stehen kann, dann zeigt sich auch, dass es eine Überlebenschance hat. Ich will mich dem aussetzen, dem Maß der Tradition, ohne ein Traditionalist zu sein. Für mich gibt es kein anderes Maß, als das, was unsere Überlieferung mitbringt. Unsere Musik beweist sich im Verhältnis zur Tradition.«

Und mit diesem Spannungsverhältnis bleibt sie ein lebenslanges Abenteuer, das Nikolaus Brass auch mit 70 Jahren noch inspiriert und kreativ bleiben lässt. Jedenfalls werden im Umkreis des Geburtstags am 25. Oktober weiterhin neue Stücke aufgenommen und aufgeführt. So widmet das Ensemble plus dem Jubilar nahe seiner Heimatstadt Lindau am 27. Oktober in Bregenz ein Porträtkonzert mit Kammermusikwerken. Und in Bamberg (17. 11.) und München (18. 11.) stellt das Ensemble Zeitsprung ebenfalls kammermusikalische Stücke für sehr unterschiedliche Besetzungen vor, neben zahlreichen anderen BrassAktivitäten bundesweit. ||

NIKOLAUS BRASS / ENSEMBLE ZEITSPRUNG
Schwere Reiter(Dachauer Straße 114)| 18. November| 20 Uhr
Tickets: 089 5481 818

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