In einer Ausstellung in der Kirche St. Paul kommen die Frauen zu Wort.

Ausstellungsansicht in St. Paul mit Susanne Wagners Keramiktomaten »Sigrid« auf den Pfeilern, Sarah Lehnerers Textilfahnen »Talking heads«, Nina Annabelle Märkis »Off Ornament«-Installation an den Wänden und der Videoinstallation »8 Voices« von Birthe Blauth| © Johannes Seyerlein

Frauen sind unterrepräsentiert in der Kunst. Und Frauen sind unterrepräsentiert in der Kirche. In der Kunst sind die Frauen auf dem Vormarsch, die patriarchalischen Strukturen einzureißen. In der katholischen Kirche tun sie sich da schwerer. Forderungen nach Gleichstellung prallen per se an den theologischen Dogmen ab. Auch wenn sich die Beschränkungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gelockert haben und Frauen in bestimmten kirchlichen Ämtern aktiv sein können, ist der Ruf nach größerer Einflussnahme bis hin zum Anspruch auf das Priesteramt lauter denn je, etwa seit Mai durch »Maria 2.0«, eine Initiative katholischer Frauen.

Genau zur rechten Zeit kommt da die Ausstellung mit sechs Künstlerinnen in der Kirche St. Paul, Sitz der Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising. Unter dem Motto »Und wir sollten schweigen?« soll der künstlerischen Stimme von Frauen Raum gegeben und der Vormachtstellung ihrer männlichen Kollegen in Kunst und Kirche entgegengetreten werden. Die unbotmäßige Frage bezieht sich auf den Apostelbrief des Paulus, wo es heißt: »Die Frauen sollen schweigen in den Versammlungen, denn es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.« (1. Kor 14,34).

Wer jetzt einen lauten Aufschrei gegen das Schweigen erwartet, wird überrascht sein. Es sind eher verhaltene Töne, die in den Werken der sechs Künstlerinnen angeschlagen werden. Das Schweigen ist durchbrochen, aber der Chor ihrer Stimmen verhallt in der monumentalen neugotischen Architektur von St. Paul – ein Bild das mehr Aussagekraft hat über die Situation von Kirche, Kunst und Frauen als die Kunstwerke selbst.

Sogar ein provokantes Statement wie die Tomaten, die die Münchner Künstlerin Susanne Wagner in Referenz auf eine feministische Protestaktion Ende der 60er Jahre gegen die tragenden Säulen der Kirche »geworfen« hat, relativiert sich: erscheinen die geplatzten roten Früchte aus Keramik vor der Kulisse des gewaltigen grauen Sandsteins doch wie Blumendekor. Die Collagen aus Seidenpapieren von Sarah Lehnerer mit den übereinandergelegten Profilbildern der Künstlerin wirken zart und fragil. Eine der Figuren deutet durch das Motiv der herausgestreckten Zunge ihr emanzipatorisches Anliegen an. Doch in luftiger Höhe zu beiden Seiten der Seitenschiffe scheinen sich die einander zugewandten überdimensionierten Köpfe fast zu verlieren.

Die Stimmen der Frauen auf den acht Bildschirmen von Birthe Blauth sind stumm geschaltet. Symbolträchtig ruhig gestellt und in die hinterste Kirchenbank verbannt, lassen sich die engagierten und kritischen Statements der Frauen erst vernehmen, wenn man die Website zum Projekt aufruft. In der raumgreifenden Installation von Lorena Herrera Rashid kämpfen sich überdimensionale bunte Gewächse aus einem martialisch wirkenden Fundament aus Maschendrahtzaun und Autoreifen heraus: »Nein, wir schweigen nicht«, scheinen die zarten Pflänzchen uns zuzurufen, »doch laut sind wir auch nicht.« In der Arbeit der mexikanischen Künstlerin geht es nicht nur um die Sache der Frau, sondern sie wendet sich in ihren Installationen aus Plastikmüll auch gegen unser Konsumverhalten und unsere Wegwerfkultur.

Tatsächlich ist es nicht die Absicht des Kuratorenduos Barbara Fischer und Alexander Heisig, Anliegen wie die von »Maria 2.0« zu illustrieren. Den Worten der Kuratorin nach soll mit der Ausstellung den generell unterrepräsentierten Frauen in der Kunst vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, sich ohne thematische Vorgabe zu positionieren, sich mit dem Ort auseinanderzusetzen und ihre Kunstwerke im Kirchenraum zu platzieren. So hat sich Nina Annabelle Märkl etwa »nur« mit der Architektur der Kirche auseinandergesetzt. Ihre Arbeit greift das Maßwerk der Seitenfenster auf und überführt die Ornamentik in eine Installation aus Stahlstäben und mit Tusche und Bleistift bezeichneten Papieren. Zwischen die Kreuzwegstationen platziert, sollen die fensterartigen Objekte die Betrachter anregen, neue räumliche Situationen zu erfahren. In der Vision von Patricia Gilyte schließlich macht die künstliche Intelligenz auch vor dem Beichtstuhl nicht halt: Freundlich wendet sich die geschlechtsneutrale Roboterfigur in der Videoanimation den Betrachtern zu, schweigend: Der Erlösung Suchende ist auf sich selbst angewiesen – noch!

»Und wir sollten schweigen?« Die auf das Paulus-Zitat antwortende, provokative Frage verlangt nach deutlicheren Antworten. Überraschenderweise ist es ein Kirchenvertreter selbst, der unverhüllt Stellung bezieht: Pfarrer Rainer Hepler von der Kunstpastoral durchbricht das Schweigen und beleuchtet in einem langen Artikel im Katalog zur Ausstellung die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Ausgehend von einer fundierten Analyse des Frauenbildes der Bibel sowie des Paulus-Wortes aus theologischer Sicht stellt er seine in vielen Augen sicher gewagte Vorstellung von einer möglichen Veränderung mutig zur Diskussion. Nein, wir sollten nicht länger schweigen! ||

UND WIR SOLLTEN SCHWEIGEN?
6 KÜNSTLERINNEN IN ST. PAUL
St. Paul| St.-Pauls-Platz 11 | bis 24. November| täglich geöffnet 8.30–17 Uhr | Eintritt frei
Der Katalog (56 Seiten, 26 Abb.) kostet 12 Euro | weitere Termine

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