Maximal ungefähr: Karl Alfred Schreiners »Expeditionsballett« im Gärtnerplatztheater führt in ein utopisches »Atlantis«.

»Atlantis« von Karl Alfred Schreiner mit dem Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz| © Marie-Laure Briane

Atlantis – dieses vermeintlich versunkene Paradies kann man als Sehnsuchtsort so weit und groß denken, dass am Ende nur noch die Sehnsucht bleibt: nach ganz egal was, Hauptsache anders. So ist es auch beim Ballettchef des Gärtnerplatztheaters Karl Alfred Schreiner, der mit »Atlantis« einen Abend über die verlorene und wiedergefundene Menschlichkeit auf die Bühne stellt, bei dem sich zu Beginn gesichtslose Wissenschaftler in weißen Schutzanzügen maschinenhaft geschäftig im grellen Scheinwerferlicht einer Laborlandschaft zu immer wieder neuen Formationen zusammenzuckeln, während über ihnen in einer großen Glasröhre offenbar ihr Versuchsobjekt hängt: Isabella Pirondi, eine spärlich bekleidete schöne Frau und offenbar ein echter Mensch. Der wird erst gar nicht beachtet, dann vom abtrünnigen Luca Seixas erst beschnuppert, befreit – und schließlich doch an einem Strand liegen gelassen, an den auch der Retter nach etlichen Aufs und Abs über eine wogende Plastikplane wieder anlandet.

Nach der Pause geht es unter und in einem malerisch über die ganze Bühne gespannten Fischernetz weiter, in dem das gesamte Ballettensemble im individualisierten Nude-Look herumlungert und das maschinelle Ruckeln der Labormenschen einem großen organischen Wogen vieler Körper weicht. Das ist es dann wohl: Atlantis, die versunkene Stadt, die maximale Utopie.

Mal ganz abgesehen davon, dass man auch mutmaßen könnte, Schreiner flechte der gutgemeinten Ignoranz einen Kranz, weil der Held unter Wasser zwar freundlich umgarnt wird, aber dennoch ersticken muss, ist das Ganze maximal unkonkret – und nur wenn man immer wieder das Programmheft mit seinen Hymnen an die Empathie konsultiert, einigermaßen rekonstruierbar. Nun gut, eigentlich ist es nicht kompliziert: Erst weiß, kalt und viel »Modern Times«, dann mehr Monte Verità und auch von der Bewegungssprache harmonischer. Heißt wohl: erst böse, dann gut, tolerant und frei. Aber für diese simple Setzung genügte je ein Bild pro Szene. Man müsste sie nicht schier endlos austanzen.

Zumal trotz des engagiertesten Einsatzes der Tänzer keine weitergehende intellektuelle oder dramaturgische Ausdifferenzierung dieser Behauptungen zu erkennen ist. Trotz vielfältigster Individuen und Tanzsprachen treten die Szenen auf der Stelle, ist die Choreografie enervierend redundant. Im ersten Teil formieren sich immer wieder neue Tänzergruppen, fahren Tische hoch und runter, dreht und verwandelt sich Julia Müers und Heiko Pfützners imposante Bühne immer wieder neu. Doch wozu? Im zweiten Teil wird ein stilistisches anything goes gepflegt, das nur Langeweile verbreitet, weil die Szene dem Auge keinen Fokus bietet.

Offenbar vertraut Schreiner der poetischen Kraft des Balletts so sehr, dass er das prächtige Instrument gar nicht mehr schärft. Damit aber verschwendet er nur Kraft und Ressourcen. Und das ist auch deshalb zum Heulen, weil auch das Orchester unter Michael Brandstätters Leitung einen prima Job macht – mit sechs zeitgenössischen Kompositionen für Streicher, Schlagwerk und Klavier, Sampler und Tonband, die eine ganze Reihe von Stimmungen triggern, aber nicht bedienen. Und doch bleibt unterm Strich nichts als der Eindruck von einem großen, sehr ungefähren Wogen, das einer wohl auch sehr ungefähren Sehnsucht entspricht. ||

KARL ALFRED SCHREINER: ATLANTIS
Staatstheater am Gärtnerplatz | 7. Juli, 18 Uhr | Tickets: 089 21851960

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