Die Graphic Novel »Am liebsten mag ich Monster« bricht mit Konventionen – ein irritierend spannender Blick auf das Genre.

© Emil Ferris, Panini Verlag 2018

Dieses Buch ist ungewöhnlich, denn es verstößt einerseits gegen Regeln, die es aber auf der anderen Seite einhält. »Am liebsten mag ich Monster« ist uneinheitlich gezeichnet, umfassend durchgeformte Bilder wechseln mit skizzenhaften Passagen, mal farbig, mal schwarz-weiß, wenn auch überwiegend mit Kugelstiften gezeichnet. Manches ist grafisch linear erzählt, dann wieder werden assoziative Einzelbilder kontrastiert, Assoziationen wechseln mit Realismus, Brutalität trifft auf Naivität, Plakatives auf fein Differenziertes. Und diese Uneinheitlichkeit setzt sich im Plot fort. Zunächst einmal erzählt das Buch von der zehnjährigen Karen Reyes, die im Chicago der späten Sechziger aufwächst und in vorpubertärer Verwirrung mit sich und der Welt nicht im Reinen ist. Sie wäre gerne ein Monster, wird auch konsequent mit grüffeloartigen Hauern gezeichnet, muss sich aber in einer Welt bewähren, die zwischen Gemeinheit, Zerbrechlichkeit und Gewalt changiert.

Im Laufe von mehr als 400 Seiten Skizzenbuch durchläuft sie einen Wandlungsprozess, der sie, fortwährend konterkariert durch imaginierte Monstergeschichten, zu einer Karen Spade werden lässt, die im Trenchcoat den Mord an ihrer Nachbarin aufzuklären versucht. Zwischenzeitlich entwickelt sich »Am liebsten mag ich Monster« literarisch mehr zu einer Novel, wenn etwa die Vorgeschichte der Nachbarin als Jüdin im Nazideutschland als klassische Binnenerzählung angelegt wird. Dann aber werden die einzelnen Stränge von Vergangenheit, Gegenwart und Imagination wieder durchbrochen und mal neben- mal gegeneinander gesetzt. Narrative Zielgerichtetheit und das Aufblenden fantastischer punktueller Optionen greifen ineinander, und das macht es nicht einfach, der Geschichte zu folgen, die mit dem ersten umfangreichen Band auch noch nicht abgeschlossen ist. Es sorgt aber dafür, dass Emil Ferris bereits mit ihrem Erstling in der Szene für einigen Wirbel sorgt.

Denn die Graphic Novel wurde schon mehrfach ausgezeichnet, mit dem Ignatz Award (2017), dem Eisner Award (2018) oder auch dem »Grand prix de la critique ACBD« (2019). Und sie ist auch mit Blick auf die Autorin etwas Besonderes. Emil Ferris ist 1962 geboren, Künstlerin, Zeichnerin, Spielzeug-Designerin. Sie stammt wie ihre Protagonistin aus Chicago, gibt zu Protokoll, in ihrer Kindheit und Jugend ähnliche Kämpfe der Sozialisation durchgestanden zu haben, bis hin zu der Frage, ob sie wirklich Mädchen sein will. Darüber hinaus entstand das Buch von 2001 über lange Phasen einer halbseitigen Lähmung hinweg, die sich Ferris durch einen Moskito-Stich eingefangen hatte und die ihren Zeichenstil entsprechen geprägt hat. Es wurde insgesamt 48 Mal von Verlagen abgelehnt, eine erste Auflage ging nach einer Insolvenz verloren – das ganze Programm der Hindernisse also, das eine Publikation überhaupt begleiten kann. Nimmt man nun noch die Tatsache hinzu, dass das Comic-Business überwiegend jungmännlich geprägt ist, dann überschreitet »Am liebsten mag ich Monster« so ziemlich alle Grenzen, die innerhalb des Genres möglich sind. Damit aber
könnte es der Anfang einer optischen Erzählkultur sein, die wirklich etwas Neues bringt. ||

EMIL FERRIS: AM LIEBSTEN MAG ICH MONSTER
Übersetzt von Torsten Hempelt | Panini Verlag, 2018 | 420 Seiten
39 Euro

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